Gerhard Dotzauer

* 1930

  • „Dann waren wir bei unserem Waggon, Nummer 38. Wir junge Leute haben uns gleich auf den Gepäckstücken hingelegt, haben wir eine Mülde gemacht, Mädchen und Buben. Alle anderen Leute haben sich auch Schlafplatz gesucht oder so, dann wurden die Türen zugemacht und es ging los. An der Grenze zu Deutschland war der Zug nochmals gehalten, weil der Lokomotivführer ausgetauscht werden musste. Die haben ihm nicht getraut, er durfte nicht nach Deutschland, dann hat ein anderer, ein Deutscher, den Zug gefahren. Dann ging es wieder los. Durch das Fahrgeräusch Ratata ratata ratata sind wir alle eingeschlafen. Wir waren angespannt auch, sind gleich alle eingeschlafen. Da war die grosse Frage: Wo geht der Trasport hin? Es gab ja die vier Zonen in Deutschland, amerikanische, englische, französische, russische. Niemals wollte man in die russiche Zone. Also in der Hoffnung , dass wir nach Bayern kommen, geht der Zug weiter. Gegen Früh werde ich von meinem Kollegen geweckt, wir haben uns gleich vorher befreundet, wurde ich geweckt. Sagte er zu mir: ‚Du, Gerhard, ich müsste mal Pipi machen, aber ich bringe das Tor nicht auf, habe ich gedacht, da hilfst mit.‘ Wir haben das Tor zurückgeschoben, für Buben war das ja kein Thema, es war grau, also es war schon Morgengrau gegen vier oder fünf Uhr. Wir fuhren also oben auf dem Bahndamm und weiter unten führte eine kleine Parallstrasse, und plötzlich überholen wir einen amerikanischen Jeep, mit zwei Amerikanern drin. Jetzt habe ich in den Waggon zurückgerufen: ‚Wir sind in Bayern! Ich sehe zwei Amerikaner!‘“

  • Klip 2 - „Aber das andere Material, wie Holz und alles, was man dazu braucht, wurde versiegelt in der Werkstatt. Und meine Frage, also meine Gedanken waren, wie geht es weiter, wenn wir ausgesiedelt sind? Mein Vater hat ja nur das Mandolinenbauen gelernt, wir müssen wieder das Gleiche machen. Aber er kann es nur dann machen, wenn er Material, Maschinen oder die Werkzeuge hat. Und das war dann der Anlass, dass ich überlegt habe und versucht habe, einen Teil von dem Material über die Grenze zu schaffen nach Deutschland. Unser Haus war ungefähr vier Kilometer entfernt von der Grenze, ich kannte mich sehr gut aus im Wald und habe eines Tages die versiegelte Werkstatt aufgebrochen und habe das Fenster angelehnt, damit ich wieder Zugang habe. Und habe dann kleine Mengen von, was man eben braucht, Holz, Werkzeugen usw., in einen Rucksack gepackt und in der Nacht um 12, 1 Uhr bin ich alleine über die Grenze gegangen. Ich musste aufpassen auf die Patrouillen, also ich konnte nicht den normalen Weg nehmen, ich musste im Wald meinen Gang suchen. Dann kam ich da an die Grenze und meistens setzte ich mich dort hin und wartete, bis die Soldaten geschossen haben. Denn sie haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat. Und dann wusste ich, wo sie sind und dann bin ich über die Grenze und habe dort eine Familie, die auch weitläufig verwandt war, da konnte ich die Sachen abgeben und musste dann wieder zurück. Und das war dann einige Male in der Woche. Und mit diesem Material konnten wir dann in Deutschland beginnen, wieder Mandolinen zu bauen.“

  • „Dann kam 1938 und es war für uns Sudetendeutsche ein besonderes Datum, denn es roch nach Krieg. Die tschechischen Soldaten kamen, sind auf der Strasse auf und ab gefahren mit kleinen Panzern, mit Lastwägen. Und die Soldaten haben in die Luft geschossen. Also wir hatten Angst. Und viele Leute sind geflohen nach Deutschland. Mein Vater, der war 1926 bei der tschechischen Armee, hat da die Ausbildung bekommen. Und bei der Mobilmachung hätte er einrücken müssen zu der Armee. Der ist aber auch nach Deutschland geflohen. Er kam den Berg herauf gelaufen und sagt zu mir im Dialekt: „Bub, ich muss fort!“ Ich rannte nach ihm ins Haus rein, er reisst im Schlafzimmer die Tür auf, nimmt den Mantel und verlässt das Haus durch Hintereingang und im gleichen Moment waren schon die tschechischen Polizisten da und wollten ihn verhaften. Jetzt haben wir nicht mehr gewusst, haben die ihn erwischt, oder ist er durchgekommen. Also wir waren dann einige Wochen ohne Nachricht vom Vater.“

  • Celé nahrávky
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    Bubenreuth, 06.11.2023

    (audio)
    délka: 02:05:04
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Ich habe Holz und Werkzeuge aus Schönbach über die Grenze geschmuggelt, damit mein Vater nach der Aussiedlung auch in Deutschland Mandolinen bauen konnte

Gerhard Dotzauer, Bubenreuth, 2023
Gerhard Dotzauer, Bubenreuth, 2023
zdroj: Natáčení

Gerhard Dotzauer wurde am 23. November 1930 in Schönbach bei Eger (heute Luby u Chebu) als erster und einziger Sohn des Mandolinenbauers Franz Dotzauer geboren. Seine Mutter hatte eine Saitenfabrik. Im Jahr 1937 zog die Familie nach Oberschönbach, wo sie ein zweistöckiges Haus baute. Gerhard wurde dort eingeschult. Als 1938 die tschechoslowakische Armee mobilisiert wurde, floh sein Vater durch den Wald nach Deutschland. Später war er in der Wehrmacht, aber die meiste Zeit des Krieges war er Zollbeamter und arbeitete an verschiedenen Grenzen in ganz Europa. Gegen Ende des Krieges schaffte er es bis nach Finnland, wo er von den Briten gefangen genommen und in ein Gefangenenlager in Mannheim gebracht wurde. Gegen Ende des Krieges freundete sich der junge Gerhard mit amerikanischen Soldaten an, schmuggelte Material und Werkzeuge aus der Werkstatt seines Vaters über die Grenze und arbeitete nach einer kurzen Episode in einer tschechischen Schule als Viehhirte auf einem großen Gut in der Nähe des Schlosses in Oberschönbach. Schließlich wurde er mit dem letzten Transport aus Eger / Cheb zusammen mit seiner Mutter und Großmutter nach Bayern geschickt. In Tennenlohe hatte sein Vater bereits eine kleine Wohnung, in der er weiterhin Mandolinen herstellte und später ein eigenes Haus für die Werkstatt baute. Zunächst arbeiteten zehn Angestellte in der Werkstatt, doch nach der Eröffnung der Siemens-Niederlassung in Erlangen verließen die Angestellten den Betrieb und die Produktion wurde als Familienbetrieb weitergeführt. Gerhard schloss seine Ausbildung mit dem Abitur an der Handelsakademie ab, heiratete 1958 und arbeitete sein Leben lang im väterlichen Betrieb als Verkäufer und Buchhalter. Die Firma Dotzauer ging nach und nach in die Hände der nachfolgenden Generationen über. Gerhard Dotzauer blickte nie zurück in seine Heimatstadt Schönbach.