Manfred Hubl

* 1940

  • "Und ja, das hat man übernommen. Dann war auch eine Herzlichkeit unter den Familienmitgliedern und in der Verwandtschaft und bei Begegnung mit Freunden war es bei uns am Tagesordnung. Wenn man sich getroffen hat, hat man sich umarmt, hat man sich geküsst, das war undenkbar in Niederbayern. Da hat in der Öffentlichkeit sich einen Kuss geben war verpönt, nicht gebräuchlich, die haben darüber gelacht oder haben sich mockiert darüber. Wir haben uns immer umarmt. Wenn man von der Schule heimgekommen ist, hat man der Mama einen Kuss gegeben. Das gab es dort überhaupt nicht. Dieses Weichsein von innen aus, das haben die Flüchtlinge mitgebracht und vielleicht auch damit die Altbayern ein bisschen geimpft damit."

  • "Ich kann mich noch genau erinnern, wie es begann. Und zwar im Frühjahr 1945 war ich mit meiner Mutter in unserer Stube, wo wir uns aufgehalten haben, wo wir gewohnt, gegessen haben, da waren wir an einem späten Nachmittag. Plötzlich klopfte es und vier Leute standen in unserer Stube. Es war ein tschechischer Mann, eine Frau, ein tschechischer Polizist und der damalige von den Tschechen eingesetzte Bürgermeister des Ortes. Dieser Bürgermeister, der natürlich fließend Deutsch sprach, hat meiner Mutter ganz klar und bündig erklärt, diese beiden Leute sind die neuen Besitzer ihres Hauses und sie müssen sofort raus. Meine Mutter fing an zu weinen, ich, als damals noch nicht Sechsjähriger, hat die Tragweite dieser Aussage natürlich nicht ganz nachvollziehen und miterleben können, und verstehen können. Aber meine Mutter, natürlich: ´Wo sollen wir hin?´ und so weiter, sie hat geweint und lamentiert. Mein Vater kam inzwischen auch schon rein, die anderen Familienmitglieder ebenso, zwei Schwester waren noch da, eine unverheiratete Schwester meines Vaters. Wir alle waren plötzlich in der Stube, es war ein großes Durcheinander, weil wir, auf der Stelle, das Haus verlassen mussten. Und ja, wo sollen wir hin? Ja, das ist auch geregelt, sie gehen die Straße runter, da ist ein leeres Haus, die Familie ist schon früher weggegangen, dort gehen sie rein. Die Sachen, die sie brauchen, holen sie morgen. Sie nehmen jetzt nur ihr Bettzeug und ihre Schlafsachen mit. Das war es, das war unsere Vertreibung."

  • "Wir fuhren da auf diesen staubigen Straßen. Wir sind da mit dem Lastwagen ganz langsam hingefahren. Direkt am Dorfanfang war so ein grünes Dreieck, eine Wiese, wo sich eben Straßen gekreuzt haben. Und dort hat man uns abgeladen. Einfach die Kisten dort runtergestellt, der Lastwagen ist wieder weggefahren. Dann kam dort ein Mann, er hieß Bergmann, und er war Schlesier. Er war der sogenannte Flüchtlingsobmann, hat man den damals genannt, er war von der Gemeinde eingesetzt und er hatte alle Unterlagen von der Gemeinde, denn es war schon organisiert, wo die einzelnen Familien unterkommen. Das war alles schon geregelt. Man hatte schon gewusst, aus dem Lager kommen jetzt so und so viele Leute, die drei Familien kommen nach Alhofen, die drei Familien kommen dahin, die vier Familien dorthin, und so weiter. So hat man sie verteilt. Das wussten die Bauern schon vorher, an dem und dem Tag kriegen sie Flüchtlinge ins Haus. Da war schon bestimmt und vororganisiert, sie müssen eine Stube oder zwei Stuben abgeben, je nachdem, wieviel Platz sie hatten. Bei uns hieß es damals, die Familie Hubel kommt zu dem Bauer Geltl. Er lag so bisschen auf einem Hügel, ein sehr schönes Haus, wenn wir von unten raufschauen könnten, waren große Kirschbäume davor, es war imposant und hat uns gefallen, aber dieser Flüchtlingsobmann Bergmann hat gleich gesagt, ihre Familie ist zu groß, sie können nicht alle dort unterkommen. Als wir an dem Tag, wo wir ankamen, bin ich mit meiner Mutter also gleich raufgegangen zu unserem Bauern, meine Schwester und die Tante in ihr Quartier. Als wir zu unserem Bauer kamen, war nur die Bäuerin zu Hause, der Bauer und die Knechte, die sie damals hatten, waren auf dem Feld und haben dort gearbeitet. Es war Ende August, das war noch Erntezeit. Dann kamen wir eben rein, haben gesagt: ´Wir sind die und die…´, ´Jaja, kommt rein,´ hat sie gesagt, ´habt ihr Hunger?´ Jaja. ´Wir haben vom Mittag Maultaschen. Wollt ihr welche haben?´ Wir wussten nicht, was Maultaschen sind, irgendwelche aus Teig gemachte pfannkuchenartige Sachen wo man da etwas reingewickelt hat, Obst oder man konnte machen, was man wollte. Das war auch Essen, was da in der Gegend so üblich war. Wir haben die Maultaschen gegessen und das war das Beste, was ich seit Monaten hatte. Weil das Lageressen war furchtbar für uns."

  • "Wie überall gibt es unterschiedliche Menschen. Der eine ist von Natur aus nett, freundlich, hat für seine Mitmenschen etwas übrig, der andere ist hart, unbeugsam, rabiat, hat weniger für seine Mitmenschen übrig. So haben sich auch die Bauern verhalten. Aber je länger die Flüchtlinge da waren, desto besser könnten sie sehen, dass es genauso Menschen sind wie sie auch, dass sie nur bloß ihre Heimat verloren haben. Und vor allem, nachdem man am Biertisch miteinander ins Gespräch kam, dann haben sie erst erfahren, was uns passiert ist, und dann konnten sie erst nachvollziehen, was das bedeutet, dann wurden sie auch einsichtiger. Nach gewisser Zeit hatte man fast in allen Fällen ein recht gutes Verhältnis, so dass man vernünftig miteinander leben könnte."

  • Celé nahrávky
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    Rehau, 14.09.2019

    (audio)
    délka: 01:59:48
    nahrávka pořízena v rámci projektu Stories of the expelled Germans born in the Karlovy Vary region
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Die Vertriebenen brachten nach Bayern Herzlichkeit.

Manfred Hubl wurde am 3. August 1940 in Engelhaus bei Karlsbad geboren. Sein Vater arbeitete in der Landwirtschaft und gelegentlich als Kellner in Karlsbad. Im Juni 1946 musste die Familie aus ihrem Haus raus, weil es neuen tschechischen Besitzern zugeteilt wurde. Die Eltern mussten aber auf ihrem (nunmehr ehemaligen) Hof bis zur definitiven Aussiedlung am 24. August 1946 weiterarbeiten. Die Familie kam nach Allhofen in der niederbayerischen Region Holledau. Der Vater verstarb im Jahr 1949. Der Zeitzeuge besuchte das Gymnasium im Kloster Rohr, bis er mit seiner Mutter nach Beilsheim in Hessen umzog (wo sie von 1952- 1958 wohnten). Das Gymnasium schloss er in Weilburg /Lahn ab. Danach zog er mit seiner Mutter nach München um, wo seine beiden Schwestern wohnten. In München arbeitete er in einem luxuriösen Möbelgeschäft, und diese Arbeit wurde zu seiner lebenslangen Leidenschaft. Wegen der Arbeit zog er nach Rosenheim und später nach Straubing um, wo er mit seiner Frau ein eigenes Möbelgeschäft führte. Sie haben drei Kinder.