Wir wussten natürlich, was es bedeutet, da nicht mehr weg zu können
Manfred Matthies wurde 1941 in Magdeburg geboren. Er wuchs in einer bombenzerstörte Stadt auf, die er damals als unendlichen Spielplatz wahrnahm. Der Vater war bereits kurz nach Ende des Krieges verstorben, seine Mutter zog ihn und seine beiden Geschwister alleine groß. Matthies absolvierte dann eine Berufsausbildung zum Schiffsbauer. In der frühen DDR war er zwar nicht politisch tätig, aber doch widerständig im Rahmen der Jugendkultur, erfuhr selbst aber keine Schwierigkeiten. 1959 flüchtete Matthies 18-jährig mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Magdeburg über Ost- nach West-Berlin. Erst später erfuhr er, dass die Mutter wegen Westkontakten bereits durch die Stasi beobachtet worden war. Von West-Berlin wurde die Familie nach Nordrhein-Westfalen geschickt, wo Matthies einige Jahre arbeitete. Von dort aus konnte er sich auch seinen Wunsch nach Reisen durch Europa erfüllen. 1961 ging er von Westdeutschland zum Studium nach West-Berlin, wo bereits sein älterer Bruder studierte. Dort erlebte er auch den Mauerbau mit. In der Folgezeit begann ein großer Teil der Westberliner Bevölkerung, private Fluchthilfe zu leisten, da die meisten familiäre und persönliche Kontakte zu Bürgern Ost-Berlins hatten. Auch Matthies und sein Bruder engagierten sich im Rahmen einer studentischen Fluchthilfegruppe. Auch Matthies wandte das komplette Repertoire der Fluchthilfe an: Passfälschungen, Tunnelgrabungen, Flucht durch die Kanalisation, Transport in umgebauten Autos, Flucht mit dem Auto über die ungarisch-österreichische oder die jugoslawische Grenze sowie mit dem Segelboot von Polen über die Ostsee. Ende Dezember 1972 wurde er bei einer Fluchthilfe mit einem umgebauten Auto an einem Berliner Grenzübergang verhaftet. Ein dreiviertel Jahr verbrachte er im Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen und wurde schließlich zu 13 Jahren Haft verurteilt. Seine Strafe verbüßte er im Gefängnis Bautzen II. Die Haftzeit war geprägt durch Arbeitszwang, fehlende Privatsphäre, Zwangsgemeinschaft mit den anderen Häftlingen und der ständigen Hoffnung auf eine Amnestie. Nach drei Jahren, im März 1976 wurde Matthies nach einer Intervention aus Westdeutschland vorzeitig entlassen. Er ging zurück nach West-Berlin, wo er ein zweites Mal heiratete und zwei Töchter bekam. Für die Fluchthilfe war er nun nicht mehr tauglich, da der Staatssicherheit bekannt. Der Mauerfall 1989 kam für Matthies völlig überraschend. Die Nacht der Maueröffnung erlebte er mit einigen Freunden am Brandenburger Tor. Nach Weihnachten 1989 konnte er das erste Mal wieder nach Ost-Berlin reisen, der Anblick der zerfallenden Altbauviertel war ein Schock. Heute engagiert Matthies sich als Referent in der Gedenkstätte Bautzen. Er ist der Ansicht, seine Erlebnisse weitertragen und die Erinnerung daran bewahren zu müssen.