Margaretha Michel

* 1944

Video Player is loading.
Current Time 0:00
/
Duration 0:00
Loaded: 0%
Progress: 0%
Stream Type LIVE
Remaining Time -0:00
 
1x
  • "Ich muss sagen, ich war dankbar. Es war eine Studentengruppe aus Erlangen. Wir hatten hier sehr nette Leute, sehr gute Kontakte, verschiedene Erlebnisse. Gefühl? Doch, es ist schon ein Bisschen Zuhause. Ich war auch in Leitmeritz. Ich bin mit dem Zug nach Leitmeritz gefahren und da haben mir auch Leute geholfen, dass ich mit dem Bus dahingekommen bin, wo die Mühle steht. Ich war bei dem ehemaligen Dienstmadchen über Nacht. Da habe ich Bier getrunken, eine besondere Sorte. Mich hat auch jemand im Zug angesprochen... Ein Bisschen heimat war schon dabei und es ist auch immer wieder. Wenn ich hier hinkomme, fühle ich mich wohler, es ist anders. Ich bin gerne in Deutschland, aber hier fühle ich etwas... Ich habe zum Beispiel heute eine Sendung gesehen über Kochrezepte, die die babička (Grossmutter) noch wusste, und das ist genau das, was ich auch kenne. Was ich auch teilweise vergessen habe, die Wiechselrezepte und Ahnliches. Also es ist schon einheimend. Ich habe auch immer noch das Gefühl, dass das Land Böhmen oder der tscheschische Staat in einer gewissen Pflicht für uns da steht, auch wenn wir nicht merh Staatsbürger seines Landes sind. Aber er ist in einer gewissen Weisse für das Herz unserer Leute verantwortlich. Es ist sehr viel Schlimmes passiert, auf beiden Seiten, und das ist auch anderswo so. Aber man muss irgendwie Frieden schliessen. Versöhnen ist für mich kein so gutes Ausdruck. Man muss Wunden heilen. Ich kenne es aus Zeitzeugenprojekten bei sehr alten Frauen, die vielleicht vor 15 Jahren noch geschimpft haben, und heute nach gewissen Erlebnissen sagen - ich kann wieder darüber sprechen, es ist geheilt."

  • "Mein Bruder heisst Franz Konrad. Und der Name Konrad kommt nich von Ungefähr, sein Pate ist der Konrad Henlein gewesen. Und zwar war das in der Zeit des Umbruchs, also wo schon Hitler einmarschiert ist. Mein Bruder ist geboren in Juni 1938. Ich habe von meinem Bruder Fotos von der Taufe, wo Konrad Henlein ihn zwar nicht hält, aber wo er in Uniform anwesend ist. Ich kann zum Beispiel zu dem nächsten bekannten Politiker gehen. Das ist der Karl Hermann Frank, den meine Mutter überhaupt nich gemocht hat und der wahrscheinlich bei uns nicht zu Gast war. Aber sie hat mit der Frau von Karl Hermann Frank Medizin studiert und stand neben ihr in der Aula der Karlsuniversität, wie die Promotion war."

  • "1945 im Mai hat uns unsere Grossmutter geholt, also meine Mutter, mich und die drei andere Kinder. Wir waren in der einsamen Mühle, direkt and der Protektoratsgrenze. Das heisst, durch den Hof ist die Protektoratsgrenze gegangen. Und da waren wir und bis Juni ist auch kein správce (Verwalter) gekommen. Niemand hat sich getraut, den Hof zu besetzen, weil sie eigentlich wussten, es waren früher Tschechen, also tschechen-freundliche Menschen, und da geht niemand hin. Und wie es dann auch gefährlich wurde, war ich mit meiner Mutter bei unserem Dienstmädchen für drei Wochen am Dachboden. Und sie war es, die dafür sorgte, dass Mutter diese Einstellung in Raudnitz bekam als Artztin, weil sonst hatte sie wahrscheinlich irgendwo nach Innerböhmen arbeiten müssen."

  • Celé nahrávky
  • 1

    Praha, 16.10.2021

    (audio)
    délka: 01:47:08
    nahrávka pořízena v rámci projektu The Removed Memory
Celé nahrávky jsou k dispozici pouze pro přihlášené uživatele.

Wir brauchen nicht bloß eine Versöhnung, wir müssen auch unsere Wunden heilen

Margaretha Michel, Prag, 2021
Margaretha Michel, Prag, 2021
zdroj: Post Bellum

Margaretha Michel wurde am 1. September 1944 in Litoměřice (Leitmeritz) als Tochter einer deutschen Familie geboren. Ihr Vater, Franz Stiebitz, war Funktionär der Sudetendeutschen Partei und während des Krieges Mitglied des Reichstags. Nach dem Krieg wurde er als Verräter verurteilt und im Dezember 1945 in Litoměřice hingerichtet. Ihr Großvater mütterlicherseits, Adolf Pokorny, war dagegen als Antifaschist anerkannt und arbeitete nach Krieg und Vertreibung in München mit Radio Freies Europa zusammen. Margarethas Mutter hatte vor dem Krieg in Prag Medizin studiert und war ab Mai 1945 als Ärztin im Internierungslager für Deutsche in Roudnice na Labem eingesetzt. Ab 1945 befand sich die kleine Margaretha in der Obhut ihrer Großeltern, der Familie Pokorny, deren Familienmühle beschlagnahmt worden war. Vor ihrer Deportation im Oktober 1946 verbrachte sie mit ihnen zwei Wochen im Vertriebenenlager Litoměřice und wurde dann nach Landshut in Bayern transportiert, wo sie dem Dorf Weihmichl zugeteilt wurden. Dort besuchte Margaretha die Volksschule und anschließend das Gymnasium in Landshut. Bis 1969 studierte sie Geographie, Chemie und Biologie an der Universität Erlangen und unterrichtete anschließend an einer Schule in Pegnitz. Dort lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie drei Kinder hat. In ihrer Arbeit an der Schule war Margaretha stets bemüht, das Bewusstsein für die Geschichte Mittel- und Osteuropas zu schärfen und organisierte mehrere Schüleraustausche mit tschechischen Schulen. In den 1980er Jahren schloss sie sich der Sudetendeutschen Landsmannschaft als Vertreterin einer Generation und Strömung an, die sich vor allem für die Verbesserung der deutsch-tschechischen Beziehungen einsetzte. Seit 1989 besucht sie regelmäßig die Tschechische Republik, wo sie viele Verwandte und Bekannte hat. In den Jahren 2019-20 arbeitete sie eng mit Post Bellum zusammen, um im Rahmen des Projekts Odsunutá paměť die Erinnerungen tschechischer Deutscher und Überlebender zu sammeln.