"Und meinem Mann, dem ging es ja so ähnlich wie mir. Er hat immer gesagt, er war 8 Wochen mit Bahnfahrt Soldat. Also ist er mit 16 Jahren in Berlin eingezogen, na eingezogen, na freiwillig war es auch nicht… Ist nach Schleswig-Holstein gekommen und da waren dann schon Ältere, die haben gesagt ´Na, Jungs, was wollt ihr denn? Ihr könnt den Krieg auch nicht gewinnen.´ Und er war kurz in englischer Gefangenschaft. Und hatte ja nun auch keinen Beruf. Er hatte angefangen so technischer Kaufman zu lernen in Berlin. Aber hatte nicht ausgelernt. Und sein Vater hatte also eine Linkseinstellung und wurde in dem Dorf als Bürgermeister eingesetzt von den Russen. Und der konnte… war früher ein Arbeiter an der Bahn… sollte nun ein Dorf regieren. Das ist ja alles nicht möglich gewesen. Da kam mein Mann und der hatte gesagt ´Junge, das kannst Du machen´, zu seinem Sohn. Und so hat er das dann eine Weile gemacht, aber dann durfte das nicht sein, weil er noch nicht 21 Jahre alt war, sondern erst 20. Und da durfte er nicht gewählt werden. Und dann hat er ein…durch Zufall in dem Dorf… da waren große Viehdiebstähle. Es wurde viel gestohlen, auch so. Und da hat er mit Freunden, die in seinem Alter waren, mit einem so einen Dieb gefasst. Und den haben sie ins Spritzenhaus eingesperrt. Und dann kam nachher die Kriminalpolizei von Beeskow. Und haben gesagt zu meinem Schwiegervater ´Der hat Fähigkeiten´ und haben ihn für die Kriminalpolizei geworben. Und so ist er dann eingestellt worden."
"Wir hatten eine Geschichtslehrerin gehabt, die so „Die Deutschen,“ nicht, „die Reinrassigen, die Blauäugigen, die Großen“. Und sogar, wenn man, wie hat sie gesagt, wenn sie in Landsberg auf dem Bürgersteig geht und so ein Gefangener kommt ihr entgegen und macht nicht Platz, also den würde sie wegstoßen. Und da hieß es schon immer: „Die Russen, die Untermenschen, die zurück sind“, nicht. Also wurden schon so hingestellt als minderwertig, ja."
Interviewer: "Wie war das dann für Sie als die ersten Russen dann wirklich kamen?"
"Na dann war ich… Angst nicht alleine…Wir haben Angst gehabt, nicht. Und als Mädchen, ich als junges Mädchen, vor allen Dingen vor Vergewaltigung. Das man sich verstecken musste. Aber man konnte feststellen, dass sie eben ganz, ganz lieb zu den Kindern waren. Aber Vergewaltigungen haben schon stattgefunden."
"Und haben dann gehofft, dass wenn wir in Küstrin über die Brücke kommen, weil wir wussten, Polen soll ja dann bis Küstrin reichen, bis zur Oder, genau die Odergrenze, das ist ja die Oder-Neiße-Friedensgrenze, wie es nachher hieß. Und da dachten wir, nun wird ja jemand da stehen und sagen ´Also, ihr müsst jetzt das Land dort verlassen´. Wir waren ja nun Vertriebene, nicht. In der DDR haben wir jahrelang gesagt ´Wir wurden umgesiedelt´, aber wir sind ja nicht umgesiedelt worden, nicht. Der Begriff „Vertriebene“ sollte eben nicht genannt werden. Aber da hat sich keiner um uns gekümmert und dann ging es weiter. Richtung Berlin so, mindestens noch 60 Kilometer. Immer mal im Stall geschlafen, mal da übernachtet, da wieder paar Betten hingelegt. Und bis Berlin. Und da hofften wir, weil wir eine Verkäuferin hatten von der Halle, dass wir dort bleiben können. Und die sagt: ´Es tut uns leid´, sie hat grade eine andere Familie aufgenommen. Dann ging die Fahrt mit dem Handwagen, der sich schon kaum noch bewegte, bis Potsdam weiter."
"Und so sind wir dann wieder zurück bis März/April, unser Haus war abgebrannt, da war schon der erste große Schlag dort. Und dann hat es auch gar nicht lange gedauert, dann kriegte Fichtwerder, das Nachbardorf von Pyrehne, den polnischen Bürgermeister. Wie schon gesagt wurde, polnische Verwaltung. Aber eins hat ich dann noch, haben wir dann noch, festgestellt. Da waren vorher, na Zwangsarbeiter kann ich nicht sagen, aber auch polnische aus der Ukraine und auch polnische Mädchen, die verpflichtet waren bei den Deutschen zu arbeiten auf dem Dorf. Und von der einen erzählte man immer, die ist nicht gut behandelt worden von den Deutschen und die hat sich dann gerecht, nich. Die soll dann auch die Irma, ihre deutsche Chefin, geschlagen haben, ja. Das ist irgendwie menschlich, aber so richtig versteht man es auch nicht."
Entweder rafft man sich nochmal auf oder man geht zugrunde.
Ruth Nowak (geb. Pade) ist am 17.05.1927 in Pyrehne geboren, aufgewachsen im Nachbardorf Hopfenburch. Mit ihren Geschwistern, dem Bruder Kalf und den beiden Schwestern Helga und Rosemarie, entstammt sie einer Handelsfamilie. Nach den ersten vier Jahren der Volksschule in Hopfenbruch besuchte sie bis zur 10 Klasse die Mädchenmittelschule in Ladsberg und absolvierte im Anschluss ihr Pflichtjahr in einer Försterei. Nach der Vertreibung 1945 machte sie eine Lehrerausbildung zur Unterstufenlehrerin (Grundschullehramt) in Potsdam. Die ersten Nachkriegsjahre lehrte sie in einem Dorf in der Nähe von Beskow, später in Franfurt Oder, wo sie bis zur ihrer Rente ihrem Beruf mit Leidenschaft nachging. 1948 lernte sie ihren Mann kennen, den sie 1950 heiratete und mit dem sie drei Kinder hat.