Ich handelte bewusst und wusste, was passieren könnte.
Gerd Poppe war ein Vorreiter und wichtiger Vertreter der Opposition in der DDR. Er wurde 1941 in Rostock geboren. Seine Kindheit war geprägt von den Auswirkungen des Krieges in der bombenzerstörten Stadt. 1947 wurde er eingeschult und verspürte in seiner Schulzeit eine tiefe Abneigung gegen die stete Präsenz sowjetischer Heldengeschichten und Stalin-Bildern. Nach dem Abitur leistete er ein praktisches Jahr als Hilfsschlosser in der Warnowwerft in Warnemünde. Danach studierte er - ein Wunsch seines Vaters - Physik in Rostock; 1964 beendete er sein Studium. Von 1965 bis 1976 arbeitete er als Physiker im Halbleiterwerk Stahnsdorf. Der Bau der Mauer 1961 sieht Poppe als den Beginn seiner Abneigung gegen das System, sein politisches Interesse verstärkte sich, er glaubte jedoch noch an Veränderungen innerhalb des kommunistischen Systems und orientierte sich stark an Ostmitteleuropa, wo größere Freiräume möglich waren. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 unterzeichnete er das Solidaritätsschreiben in der tschechoslowakischen Botschaft. 1970 zog Poppe von Stahnsdorf nach Berlin und machte dort in der Folgezeit zahlreiche neue Bekanntschaften, die seine kritische Haltung gegenüber dem System teilten. Über Freunde lernte er auch Robert Havemann und Wolf Biermann kennen. Poppe hatte den Wehrdienst verweigerte und musste 1975 sechs Monate Dienst als Bausoldat leisten. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 bedeutete einen Einschnitt für Poppe: Er richtete einen Protest an Honecker, woraufhin die Akademie der Wissenschaften ihre Zusage für seine Einstellung zurückzog. Fortan hatte er faktisch Berufsverbot und arbeitete bis 1985 als Maschinist in einer Berliner Schwimmhalle. Nach der Biermann-Ausbürgerung verlor Poppe zudem einen großen Teil seines Freundeskreises, da viele in den Westen emigrierten. Zudem wurden in dieser Zeit trotzkistisch eingestellte Freunde verhaftet und in der Folge auch Poppes Wohnung durchsucht. In der Folgezeit kam Poppe jedoch auch mit neuen Menschen in Kontakt: Wichtig war für ihn 1977 die Lektüre von Rudolf Bahros „Die Alternative“. Poppe bemühte sich 1979 vergeblich, dass Bahro die Zustimmung zu seiner Ausreise nach der Entlassung aus der Haft zurückzuziehen würde. In dieser Zeit intensivierte sich auch Poppes Beziehung zu Havemann, nach der Aufhebung seines Hausarrestes 1979 war Poppe häufig bei ihm zu Besuch. Die zweite Hälfte der siebziger Jahre waren für Poppe geprägt von zahlreichen politischen Diskussionen in Kleingruppen, die allerdings stets in gleichen Kreisen stattfanden und somit nicht auf die Öffentlichkeit wirkten. Er positionierte sich immer noch politisch links, hatte jedoch Ende der siebziger Jahre die Hoffnung auf demokratische Reformen verloren. Wichtig für Poppe waren Reisen in die ostmitteleuropäischen Nachbarländer, vor allem in die Tschechoslowakei, deren Charta 77 er aufmerksam verfolgte. Diese Aktivitäten in Ostmitteleuropa waren für ihn Inspiration, Ähnliches in der DDR umzusetzen und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Für die Anfänge der oppositionellen Bewegung war die Friedensbewegung ab Ende der siebziger Jahre sehr wichtig, die sich vor allem im kirchlichen Rahmen entwickelte konnte. Auch Poppe hatte zahlreiche Kontakte zur internationalen Friedensbewegung, handelte jedoch nie aus christlichen Motiven heraus. Ab 1980 fanden regelmäßig literarische Lesungen in Poppes Wohnung statt. Diese wurden von der Stasi als „nichtgenehmigte Veranstaltungen“ überwacht, Poppe mit Ordnungsstrafen belegt. Ebenfalls 1980 gründete Poppe mit einigen anderen einen unabhängigen Kinderladen, der bis 1983 bestand und dann von der Stasi zerstört wurde. Bereits 1980 konnte Poppe nicht mehr reisen; er stand auf einer schwarzen Liste und wurde am Grenzübergang stets abgewiesen. Umso wichtiger wurden die Treffen mit internationalen Aktivisten in Ost-Berlin: Ab 1983 wurden die Kontakte mit der internationalen Friedensbewegung intensiver, deren Vertreter im Zuge der zweiten END-Convention in West-Berlin auch die Opposition in Ost-Berlin besuchten. Dieses erste Treffen fand in Poppes Wohnung statt, die sich in der Folgezeigt zu einem Hauptanlaufpunkt für internationale Aktivisten entwickelte. Im selben Jahr kamen auch die Kontakte mit den bundesdeutschen Grünen zustande; vor allem mit Petra Kelly unterhielt Poppe einen engen Kontakt. Die bundesdeutschen Politiker konnten mithilfe ihrer Diplomatenpässe Bücher, Zeitschriften, Briefe, aber auch technische Geräte in die DDR schmuggeln. Diese Unterstützung war wichtig für die Herausgabe illegaler Samizdat-Zeitschriften, an denen sich Poppe beteiligte. 1983 wurde Poppes Frau Ulrike zusammen mit Bärbel Bohley wegen „landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ verhaftet. Dies löste massive Proteste aus der internationalen Friedensbewegung aus, so dass sie nach sechswöchiger Untersuchungshaft entlassen wurde. Diese Reaktion der Staatsmacht war einen neue Entwicklung der achtziger Jahre: Verhaftete, die einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten wurden wieder freigelassen, da Proteste zu erwarten waren. Poppe selbst wurde stets nur für z.B. einen Tag verhaftet, etwa um in an der Teilnahme an Veranstaltungen zu hindern (so beispielsweise 1979 am Prozess gegen Havemann). 1985 gründete Poppe zusammen mit Bärbel Bohley und Wolfgang Templin die Oppositionsgruppe Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM). Der Ausgangspunkt für die Gründung war ein geplantes Menschenrechtsseminar, das aufgrund von Druck auf die Kirchengemeinde, in der das Seminar stattfinden sollte, abgesagt wurde. Die IFM orientierte sich inhaltlich stark an der Charta 77, deren Friedensbegriff des Gleichgewichts zwischen innerem und äußerem Frieden sie teilte. Die Samizdat-Veröffentlichungen waren dabei sehr wichtig, da sie eine DDR-weite Verteilung und somit Vernetzung der verschiedenen Gruppen ermöglichten. So entstand ein Netzwerk, über das auch Informationen über Aktionen in anderen Ländern, Solidaritätsbekundungen oder gemeinsame Erklärungen verbreitet werden konnten. Seit Anfang der achtziger Jahre stand Poppe verstärkt unter Beobachtung der Sicherheitsorgane. Ab 1980 war er mit einem Ausreiseverbot belegt, laut Akten war 1983 seine Verhaftung erwogen worden und ab Mitte der achtziger Jahre bemühte sich die Stasi durch Druck und Zersetzungsversuche innerhalb der Familie, diese zur Ausreise zu bewegen, was jedoch nicht gelang. Ab 1985 konnte Poppe als Ingenieur im Baubüro des Diakonischen Werkes arbeiten. Im Zuge der Revolution 1989 vertrat er die IFM am Runden Tisch und wirkte dort in der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“. In der Regierung Modrow von Februar bis März 1990 war Poppe Minister ohne Geschäftsbereich, bei den Wahlen im März 1990 trat er für das Bündnis 90 an, für das er bis Oktober Mitglied in der frei gewählten Volkskammer war. 1992 sieht Poppe seine Unterlagen bei der Staatssicherheit ein. Er wurde von über 40 Personen im Laufe der Zeit bespitzelt. Auch in der IFM waren teilweise zeitgleich bis zu sechs IM aktiv. Von 1990 bis 1998 war Poppe Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90 / Die Grünen. Nach den Wahlen 1998 wurde er erster Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung im Auswärtigen Amt und konnte somit sein Engagement für seine ursprünglichen Themen Menschenrechte und Außenpolitik fortsetzen. Seit 1998 ist er zudem Mitglied des Vorstandes der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.