Ernst Schmidt

* 1929

  • "Als Hitlerjunge war ich mit 15 in einem Wehrertüchtigungslager - so nannte man das - heute weiß ich, dass es eine Vorstufe gewesen ist zur Wehrmacht. Wir waren da in Rosswald und wurden an der Waffe ausgebildet. Als wir dann wieder nach Hotzenplotz zurück entlassen werden sollten, mussten wir antreten und sollten uns freiwillig zur Waffen-SS melden. Und das haben die meisten auch gemacht und unterschrieben. Ich weiß nicht mehr die Anzahl, aber jedenfalls waren wir etwa 8 oder 10 Leute, die sich geweigert haben. Darunter war auch ich. Zufälligerweise war mein Vater auf Heimaturlaub - er war Offizier der Luftwaffe. Ich habe also einen Kollegen, der unterschrieben hatte, gebeten, er möge meinen Vater anrufen und Bescheid sagen. Da hat sich mein Vater eingeschaltet und konnte erreichen - natürlich auch aufgrund seiner Position - dass wir ohne Unterschrift entlassen wurden... Wir mussten jedoch nochmal antreten und wurden vor der ganzen Mannschaft zur Schnecke gemacht, wurden beschimpft und es wurde gesagt, wir würden zu feige sein, für die Zukunft Großdeutschlands zu kämpfen und wir würden mit Lichtbild im Parteikasten ausgehängt werden. Als ich dann nach Hause kam, ist mein Vater mit mir zum Herrn Keilich gegangen - der war Ortsgruppenleiter von den Nazis (wobei, was heisst Nazi? Es gibt gute und schlechte Menschen und er war ein guter) - der hat gesagt: ´Das kommt überhaupt nicht in Frage, das tun wir nicht´ und hat es so abgeschmettert. Mich hat es aber so geärgert und an meiner Ehre gepackt, dass ich mich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet habe... Das war im Herbst 1944."

  • Am 7. September 1945 war die erste Schacht-Einfahrt, untertage. Wir hatten nichts sonst zum Anziehen, zum Wechsel, keine Arbeitskleidung, nichts. Nur das, was wir am Leib hatten. Und mussten dann in die Grube einfahren. Also ohne Übertreibung, gerade für uns Jungen [war das]... - der jüngste war 14 Jahre alt - wir hatten furchtbare Angst unter diesen Bedingungen untertage arbeiten zu müssen. Denn wir kannten das ja nicht. Zunächst war ich tätig auf der Strecke - so nannte man das - auf dem Stollenbau im Stein. Kurz darauf kamen wir in den Kohlenabbau. Die Flöze waren sehr niedrig, etwa 30 Zentimeter war die geringste Höhe, bis etwa ein 1,20 Meter. Zunächst hatten wir überhaupt keine Verbindung zur Heimat, es kam keine Post, erst später kam ein erstes Päckchen und damit Verbindung zu den Angehörigen. Die Verpflegung war anfangs sehr schlecht. Wir bekamen früh zur Morgenschicht einen schwarzen Kaffee und ein Stück Brot - das war alles. Die Frühschicht begann um sechs Uhr und [ging] bis um zwei [Nachmittags]. Die zweite Schicht war von zwei bis um zehn, die Nachtschicht [war anschließend bis sechs Uhr früh]. Wir mussten acht Tage jeweils untertage arbeiten und weitere acht Tage übertage. Denn es gab verschiedene Arbeiten, die aber oft Schikane waren - wir mussten schwere Eisenträger einmal fünfzig Meter nach rechts schleppen und dann wieder am nächsten Tag die fünfzig Meter zurück. Wir mussten Baumstämme ausladen, die als Grubenholz gebraucht worden sind. Wir mussten 50-Kilogramm schwere Zementsäcke ausladen aus Waggons und das alles unter diesen Bedingungen im bewachten Lager (...) Einmal wurde ich verschüttet, in der Weise, dass eine große Steinplatte von der Decke herunterbrach... Ich lag darunter mit dem Schaufelstiel über die Oberschenkel, wurde zusammendrückt und bekam keine Luft. Der Hauer, ein gewisser Josef Špíl, ein Tscheche und zwei andere haben dann mit Gewalt die Steinplatte hochgestemmt, um mich daraus zu ziehen. Ich kam dann wegen Verdacht auf Rippenbruch für drei Wochen ins Krankenhaus in Ostrau. Anschliessend wieder zurück zur Arbeit.

  • "Es war ein sehr, sehr heißer Monat. Und wir hatten nichts zu trinken. Da sind Tschechen über uns hergefallen, Zivilisten, haben uns das Wasser im Eimer gereicht und als wir trinken wollten, den Eimer weggestoßen. Meinem Vater wurden die Achselklappen abgerissen und mit der Peitsche hat er dann Hieb über die Stirn bekommen. Da hat sich die tschechische Bevölkerung sehr unangenehm bemerkbar gemacht. Das waren die einzigen Übergriffe, später, als ich von meinem Vater schon getrennt war, mussten wir noch Munition auf einem Feld eingraben... "

  • "Wir wurden mit zwei Leiterwagen abgeholt in die Kreisstadt Jägerndorf , Krnov. In Jägerndorf kamen wir am späten Nachmittag an, es war schon dunkel. Der erste Eindruck... Ein 3 Meter hoher Stacheldrahtzaun, Scheinwerfer usw.. Da wurde man unwillkürlich erinnert an die Nazipropaganda der Burenkriege. Wie die Engländer in Südafrika die Buren gefangengesetzt hatten. Dieses Bild war plötzlich da. Während des Einfahrens haben wir die Baracken gesehen. Da standen unter anderem einige Frauen mit kahlgeschorenen Köpfen an der Wand und durften sich nicht anlehnen. Am nächsten Tag haben wir dann erfahren, dass sie die ganze Nacht stehen mussten. Weshalb? Warum? Keine Ahnung. Wir mussten antreten in Dreierreihen. Jede Reihe ungefähr zwei Meter Abstand. Und dann ist die Wachmannschaft durchgegangen und hat willkürlich hineingeprügelt. Einfach so. Ich habe während dieser Prozedur ein silbernes Amulett mit der Heiligen Maria in der Hand an einer Sicherheitsnadel innen festgehalten. Und mir ist nichts geschehen - das hat was mit Glauben und Hoffnung zu tun. Aber es sind einige zusammengeschlagen worden. Weil sie kein tschechisch verstanden haben und keine Befehle verstanden haben. Und da wurde einfach hineingeprügelt."

  • "Es ist schwierig. Da muss man sich an damals erinnern und an das, was es heute nicht mehr gibt, von dem ganzen Ambiente der Stadt. Es ist der Ringplatz - die engere Heimat, wo wir gewohnt haben. Diese Ringplätze, die waren sehr typisch für die Städte in dem Gebiet - in der Mitte stand ein Feuerlöschbrunnen mit einer Bronzefigur oben, die eine Schale hält... Oder die Spiele um den Ringplatz herum, das Versteckspielen... Und vor allem die Natur, der Stadtpark und die Ossa - der kleine Fluss, der uns heute so winzig vorkommt. In der Kindheit waren auch die Entfernungen weit, weit größer. Der Weg zum Stadtbad z. B., das war damals für uns Kinder eine ganze Weltreise, dabei ist es nur einen Kilometer entfernt gewesen..."

  • "Warum sollte man das jetzt hier aufgeben und in eine Gegend zurückkommen, die ein völlig touristisches Niemandsland ist. Wir würden nur wieder aufbauen müssen, was wir Jahrhuderte aufgebaut und dann verloren haben. Auch das, was die Satzung der sudetendeutschen Landsmannschaft diesbezüglich sagt: "Heimat gewinnen..." usw. - Alles Schall und Rauch! Die allgemeine Bevölkerung denkt nicht so. Das ist vorbei."

  • Celé nahrávky
  • 1

    Nürnberg, 07.03.2009

    (audio)
    délka: 02:05:11
    nahrávka pořízena v rámci projektu 1945 - End of the War. Comming Home, leaving Home.
Celé nahrávky jsou k dispozici pouze pro přihlášené uživatele.

Der Drang, endlich frei zu sein war viel, viel stärker als die Heimat zu verlieren. Wenn man älter geworden ist, ist auch das dann anders geworden.

Ernst Schmidt during the interview on 7. 3. 2009 in Nuremberg
Ernst Schmidt during the interview on 7. 3. 2009 in Nuremberg
zdroj: Autor: Ondrej Bratinka

Ernst Schmidt wurde am 18. 9. 1929 in der Stadt Hotzenplotz (tschechisch Osoblaha) geboren, die direkt an der tschechisch-oberschlesischen Grenze lag. Schmidts Vater Rudolf wurde bereits im 1. Weltkrieg als Aufklärungsflieger in Italien eingesetzt, im Dienst des K. u. K.-Militärs. Zu Beginn des 2. Weltkriegs wurde er als Hauptmann erneut zur Luftwaffe einberufen, als Leiter des militärischen Kraftfahrzeugparkes in Königsgrätz.  Ernst Schmidt war in seiner Jugend, zu der Zeit des sogenannten Großdeutschen Reiches schon, Mitglied der Organisation Jungvolk (Das Jungvolk gehörte als untere Stufe zur Hitlerjugend und war für Knaben von 10 bis 14 Jahren bestimmt). Mitte März 1945 rückten die Rote Armee und das 1. tschechoslowakische Armeekorps bis  an die ehemalige Grenze der Tschechoslowakei heran und damit begann die Hochphase  der Ostrau-Operation. Die deutsche Bevölkerung machte sich auf die Flucht und zurück blieben nur diejenigen, die sich um ihre Bauernhöfe kümmern mussten. Ernst Schmidt gelangte bis in Königsgrätz (Hradec Kralove) und schloss sich dort seinem Vater an. Sie brachten dann mit anderen Wehrmachtsangehörigen in Richtung Westen auf. Ihr Ziel war natürlich die amerikanische Gefangenschaft und damit auch eine Aussicht auf anständige Behandlung. Ehe die zersplitterten Wehrmachtseinheiten und Zivilistengruppen unterwegs auf die Russen trafen, wurden sie abermals von Partisanengruppen und der Miliz angegriffen. Auf dem Weg in den Westen stieß die ganze Flüchtlingsschar von Soldaten und Zivilisten auf die Russen und wurde komplett gefangengenommen. Am Weg in das Gefangenenlager gerieten sie mehrmals ins Visier der tschechischen Bevölkerung, die die Situation für ihre persönliche Rache und Wut ausnutzte.  Erst nachdem er in das Gefangenenlager gekommen war, wurde Ernst Schmidt von den Russen freigelassen. Sein Vater musste bleiben und kehrte aus der russischen Gefangenschaft erst im Jahr 1949 zurück. Diese vier Jahre verbrachte er auf der Halbinsel Krim als Zwangsarbeiter. Ernst kam nach Hotzenplotz zurück, ohne zu wissen, was hier auf ihn wartet. In Hotzenplotz lebten Ernst und seine Schwester Ilse einige Monate von der Hand in den Mund, bis Ernst am 30. August 1945 zur Zwangsarbeit ausgehoben wurde. Gemäß dem Präsidentendekret vom 19. 9. 1945 unterlagen der Arbeitspflicht alle Deutschen und Ungarn, denen gemäß einem anderen Dekret vom 2. 8. 1945 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Bis die planmäßige Ausweisung stattfinden konnte,  mussten alle Männer von 14 bis 60 Jahren und Frauen von 15 bis 50 Jahren der Arbeitspflicht nachkommen. Welcher Arbeit man zugeteilt wurde, war Glückssache. Materielle Verpflegung und das Verhalten der Aufseher in Arbeitsmassenlagern unterschieden sich in Schmidts Fall von jenen der kommunistischen Zeit nicht allzusehr. Wann und ob er überhaupt aus der Kohlengrube in Mährisch Ostrau komme, wusste Schmidt zunächst gar nicht. Die Häftlinge bekamen keine Auskunft darüber, wann die Zwangsarbeit zu Ende gehen werde und was danach mit ihnen passieren solle. Mit der Zeit verbreiteten sich Gerüchte über die Vertreibung nach Deutschland, die allerdings nur die Angst steigerten, dass niemand seine Angehörigen jemals wiedersehen würde. Erst später drangen zu ihnen die Nachrichten durch, dass die Amerikaner die Trennung der Familien nicht zulassen würden. Ernst Schmidt erfuhr über seine Ausweisung und damit auch über das Ende seines Sklaventums erst 14 Tage vor seiner Entlassung aus dem Lager. Er kehrte in die Heimat zurück, wurde allerdings ein paar Tage später mit dem Rest der deutschen Bevölkerung auf offenen Viehwagons nach Bayern abtransportiert. Nach ziemlich schweren Anfängen in einer neuen Heimat gelang es ihm, neu Fuß zu fassen und die Schule zu Ende zu machen. Er studierte danach an der Universität München. Seine Frau Ingeborg lernte Schmidt auf einem Treffen mit den Heimatvertriebenen im Jahre 1956. Zusammen haben sie drei Kinder und leben in Eichenau bei München.