Gernot Schnabl

* 1937

  • "Dann kam da Kriegsende. Zum Kriegsende hin wurde Tachau noch bombardiert. Am 14.2.1945 kamen die Amerikaner, manche sagen Engländer, und schon hörte man die Flugzeuge kommen. Sonst war immer 2, 3 Minuten Ruhe, bis die Maschinen hörbar waren. Aber an diesem Tag war der Fliegeralarm und nach wenigen Sekunden schon hörte man die Flugzeuge. Wir hatten keine Zeit mehr zum Haus des Großvaters gegenüber zu laufen und liefen in unseren Keller runter. Und kaum waren wir darunter, schon gab es Krach und Donner, die Stadt wurde schwer mit den Bomben beschädigt. Meine Mutter hatte Omeletten gebacken, sie war gerade am Ofen und hatte das Fenster offen, weil es ein sonniger Tag war. Und hatte dann alles stehen geblieben, und ist in den Keller gelaufen. Wie sie zurückgekommen ist, war genau an der Stelle, wo sie stand, ein Bombensplitter in die Wand eingeschlagen. Wenn sie oben geblieben wäre, was manche gemacht haben, nicht jeder ist in den Luftschutzkeller gelaufen, wäre sie 100 prozentig nicht mehr am Leben. Diesen Bombensplitter, der noch heiß war, hat sie mit dem Messer aus der Wand geholt, der ist heute noch in unserer Familie. Der ist auch mit ausgesiedelt worden, war ein Zeitzeuge von dem Krieg und von der Bombardierung von Tachau. Wir Buben sind dann rausgegangen, haben uns die Bombentrichter angeschaut, das war für uns sehr interessant, Wasserleitung wurde zerrissen, Wasser lief raus, Kabel konnte man sehen, es war für uns eine interessante Situation. Nur: wie ich erfahren habe, dass von meinem Freund, der nur einige Meter von uns entfernt wohnte, sein Haus hatte eine Bombe getroffen, das Haus stand nicht mehr und von meinem Freund Walter Heidenreich hatte man dann erzählt, dass man am Feld ein Arm von ihnen gefunden hat. Dieser Schreck und dieses Bild sitzt in mir heute noch."

  • "Jeden Augenblick ist ein Tscheche gekommen und hat etwas anderes abgenommen. Zum Beispiel der eine kam mit einem Pferdefuhrwerk und hat die neue Möbel von meiner Mutter abgeholt, ohne sich vorher anzumelden, ohne was zu sagen sind zwei Männer gekommen und haben die Möbel auf den Pferdewagen aufgeladen. Aber meine Mutter hat gesagt, es war ein anständiger Tscheche, weil er uns seine alten Möbel mitgebracht hatte. Die haben sie die Treppe raufgetragen und das neue genommen. Und mein Vater hatte ein Motorrad. Es stand im Speicher, also am Boden dieses Hauses, es war ein Wanderer, 1200cm3. Er hatte die Kette, weil er im Krieg war, hatte er die Kette abgenommen und die war auf der Treppe in einer Blechdose, in der Petroleum war. Es sind zwei Tschechen gekommen und sie haben gesagt, sie möchten dieses Motorrad abholen. Man durfte nicht widersprechen, sie sind mit einer geladenen Pistole erschienen, und haben dann angefangen das Motorrad die Treppen hinunter zu transportieren. Wie ich gehört habe, sie möchten das Motorrad holen, habe ich die Büchse mit der Kette genommen und habe sie in einen Bombentrichter auf der Straße geworfen, wo die Erwachsenen immer den Müll entsorgt haben. Die beiden Männer haben das Motorrad runter, aber haben festgestellt, dass sie nicht fahren können, weil die Kette fehlt. Sind wieder mit vollgeladenen Pistole zur Mutter, wo ist die Kette. Meine Mutter sagte, die ist da oben auf der Treppe. Auf der Treppe war sie nicht mehr. Ich habe meiner Mutter bis zu ihrem Tod nie erzählt, wohin die Kette gekommen ist. Und auch nicht, dass ich sie damals beiseitegeschafft habe. Sie habe damals solche Todesängste erlebt und das habe ich gespürt. Oder eines Tages haben mich wieder drei Tschechen, Buben, auf der Straße angehalten, auch mit der Pistole, etwas älter als ich, ich musste Hände hochmachen, und dann haben sie mir mein Taschenmesser aus der Tasche geholt und als Beute weggenommen. Wir konnten uns nicht währen, es war eine wirklich schlimme, schlimme Zeit."

  • "Meine Mutter musste dann Brot gebacken aus Kartoffeln und Sägespähnen, das haben wir gegessen. Ich habe dann ein paar alter Ski bekommen, weil ich immer Skifahren wollte, meine Tante hat mir Skiwachs gegeben, das mir mein Vater weggenommen hatte, und hatte daraus Weihnachtskerze gegossen. Weil es sie nicht zum Kaufen gab. Die haben nur eine Minute gebrannt. Oder hatte er aus alten Blechdosen Weihnachtssterne für den Christbaum gemacht. Am Weihnachten hat man die Bräuche aus der Heimat praktiziert. So wie das heimatliche Osterbrot, und auch Rezepte, wie wir sie von Tachau kannten. Hat man auch Äpfel, Zuckerstücke und Bäckerei auf den Christbaum gehängt. Bloß man hatte keinen Würfelzucker, das Papier war leer, das hat man nur so auf den Christbaum gehängt, ohne Zuckerstückchen."

  • "Es hat also geheißen, dass wir aussiedeln müssen. Als Kind kann man sich da wenig vorstellen, aber meine Mutter hat für uns Kinder kleine Rucksäcke genäht, passend für unsere Körper, sie war Schneiderin. Dann hat es eines Tages geheißen, morgen um acht Uhr des nächsten Tages müssen wir uns vor dem Haus auf der Straße aufstellen, mit den 50 Kilo Gepäck, die wir mitnehmen dürften, und dann wurden wir abgeholt. Meine Mutter hatte die Rucksäcke gefüllt. Ich habe die ganze Nacht auf dem Bett gesessen und habe die kleinen Dias, die in Glas eingerahmt waren, habe mit einem kleinem Messer ausgeschnitten. Es war eine wertvolle Erinnerung für meinen Vater. Bilder von der Stadt, von der Umgebung und vor allem Bilder von uns Kinder. Das wollte sie unbedingt mitnehmen, aber das Glas war zu schwer, es war in so kleinen Holzkästchen drinnen. Die Filmblättchen kamen dann nur in einen Briefumschlag. Ich weiß nicht, wo er dann im Gepäck gesteckt worden ist. Auf jeden Fall sind sie eingekommen in unsere neue Heimat."

  • Celé nahrávky
  • 1

    Rehau, 12.09.2019

    (audio)
    délka: 02:00:54
    nahrávka pořízena v rámci projektu Stories of the expelled Germans born in the Karlovy Vary region
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War die Vertreibung für mich gut, oder schlecht?

Gernot Schnabl wurde am 5. Juli 1937 in Tachau geboren. Seine Eltern hatten noch zwei jüngere Töchter. Er hatte eine zahlreiche Verwandtschaft und diesem Umstand entsprechen seine Erinnerungen an die frühe Kindheit. Die Atmosphäre nach dem Krieg hinterließ in seinem Gedächtnis Spuren der Angst, in der die deutsche Bevölkerung ständig gelebt hatte. Im Sommer 1946 wurde Gernot mit seiner Familie nach Bayern ausgesiedelt, und Schliersee wurde sein neues Zuhause. 1948 kam sein Vater aus der britischen Gefangenschaft, der in später sehr aktiv in vielfältigen Angelegenheiten der Landsleute aktiv war. Gernot hat Anglistik fürs Lehramt studiert und schlug die Lehrerlaufbahn ein. Er spezialisierte sich auf Sonderpädagogik für erziehungsschwierige Kinder. Nach dem Tod seines Vaters engagierte auch er sich in den Aktivitäten in Verbindung mit der alten Heimat. Tachau ist für ihn bis heute die Heimat Nummer eins. Er hat drei Kinder.