Und dann 1978 sind wir das erste mal in die alte Heimat gekommen. Wir mussten einen Antrag stellen auf Visa und ich bin meinen Kindern und meinem Mann dann nach Grasslitz und dann zu Hoi. Und auf Hoi, auf dieser Hochebene, da waren sämtliche Höfe, alles zum Erdboden gleich gemacht. Nichts mehr da, alles dem Erdboden gleich.
Und dann nach einer gewissen Zeit haben wir erfahren, dass der Opa verstorben ist und er kam dann mit einem Zinksarg und zwei bewaffneten Soldaten an. Der Zinksarg war mit Lederriemen bestückt und wir haben dann versucht, dass er beerdigt wird nach Frankenhammer auf dem Leiterwagen. Es sind noch einige Trauergäste mitgegangen und ständig sind die Riemen kontrolliert worden, ob der Sarg aufgemacht worden ist oder nicht. Meine Oma sagte immer: „Es gibt doch nicht, der Mortiz war viel grösser, der passt doch nicht in diesen kleinen Sarg, das ist doch unmöglich!“ Er ist dann ohne geistlichen Beistand einfach verscharrt worden in Frankenhammer irgendwo in der Nähe von dem Leichenhaus. Mein Onkel hat sich dann die Stelle durch Schritte gemerkt, wo er eventuell liegen konnte, wenn wir vielleicht einmal wieder hinkommen sollten, dass wir wissen, wo er überhaupt verscharrt worden ist.
Ja und dann mussten wir auch ins Lager, in Grasslitz. Wir waren dort einige Zeit und da dürften wir natürlich nur einen gewissen Teil mitnehmen, pro Person so und so viel Kilo. Und sind dann halt in Viehwagons verladen worden mit der Kiste, ohne Fester und wir wussten nicht, wohin es fährt. Dann sind wir losgefahren und dann ging die Tür auf und dann hieß es, wir sind in Nürnberg. Dann kamen Rotes-Kreuz-Menschen und haben uns Suppe gereicht, warme Suppe, und dann ging es nach einer Weile weiter nach Würzburg. Und zwar ins ausgebombte Würzburg, wieder in ein Lager. Vorher wurden wir in einem Raum nackt, alle in einem Raum von den Amerikanern mit DDT besprüht, zwecks Desinfektion, und dann waren wir vier Wochen in Würzburg. Verhungert im ausgebombten Würzburg, trostlos alles. Und dann kamen wir nach Goldbach bei Aschaffebnburg in eine Turnhalle und haben auf Strohsäcken geschlafen. Es waren lauter traumatisierte Menschen ohne Perspektive.
Vor der Vertreibung schickten sie uns Großvater im Zinksarg
Margit Schödlbauer wurde am 18. August 1938 in Graslitz (Kraslice) als Tochter des Bahnbeamten und Amateurmalers Arthur Hüttel und seiner Frau Franziska, geborene Sandner, geboren. Sechs Wochen nach ihrer Geburt flohen die Eltern mit ihr nach Sachsen, weil der Vater sich der tschechoslowakischen Mobilisierung entziehen wollte, und kehrten erst im Herbst 1938 nach der Annexion des Sudetenlandes zurück. Die kleine Margit lebte in Bleistadt (Oloví), wo sie auch begann die deutsche Schule zu besuchen. Gegen Kriegsende nahm der Großvater Moritz Sandner sie zu sich auf den Hof bei der Gemeinde Konstadt (Mlýnská). Auf dem Hof arbeiteten zwei polnische Kriegsgefangene, mit denen die Familie gut auskam. Der Vater kämpfte in der Wehrmacht auf dem Balkan, bekam Malaria und kehrte nach Kriegsend heim. Im April 1945 kamen die amerikanischen Soldaten. Die Demarkationslinie zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Zone verlief nah am Haus der Familie. Bald kamen tschechische Kommisare auf den Hof, deckten sich mit Lebensmitteln ein und die Famlie durfte sich mit ihrem Besitz nicht mehr versorgen. Moritz Sandner wurde im Herbst auf das Kommisariat gerufen. Er wurde im nahen Rothau (Rotav) interniert und in Heinrichsgrün (Jindřichovice). Heim kehrte er tot im Sarg und wurde an einem nicht gekennzeichneten Ort ohne Zeremonie begraben. Der Rest der Familie wurde am 25. Mai 1946 über das Lager in Graslitz in die amerikanische Zone von Deutschland in Viehwaggons deportiert und in Würzburg desinfizierte man sie mit DDT. Die Mutter arbeitete zunächst als Haushaltshilfe in einer jüdischen Familie, die auf ihre Ausreise in die USA wartete. Der Vater malte Bilder und tauschte sie gegen Lebensmittel. 1950 kam noch eine zweite Tochter auf die Welt. Die Familie ließ sich schließlich in Lichtenfels nieder, wo Margit Drogeristin wurde und 1961 heiratete.