Reinfried Vogler

* 1931

  • "Und als der Krieg zu Ende war, wollten wir naturlich wieder zurruck. Und dann haben wir uns auf den Zug gesetzt, sobald es wieder moglich war, und sind zurruckgefahren. Wir haten Fahrkarten bis nach Nicholsburg, glaube ich. Und in Linz war die Zonengrenze zwischen den Amerikanern und den Russen. Und die Russen haben uns dann nicht mehr uber die Grenze gelassen. Da wurden alle Vertriebenen, die wieder zuruckwollten, einfach gar nicht mehr in die Zone hineingelassen. Also wir sind dann in Linz hangen geblieben und sind da ins Lager gekommen, in der Schlosskasserne da oben. Wir sind dort dann uber vier Jahre hangen geblieben."

  • “Wir waren im Jungvolk, wie das hieß. Das war eigentlich nicht als Pflicht gesehen, aber es war so, jeder war da drin. Ich habe mich ja viel mit solchen Dingen befasst. Da waren, meine ich jedenfalls zurückschauend, aus meiner Perspektive, die Entwicklungen in Österreich (und ich zähle unsere Region auch zu Österreich), doch eine ganz andere als im Altreich, wie bei uns wir gesagt haben. Erstens machen die Deutsche alles immer auf hundertfünfzig Prozent, wenn sie es machen. Während in Österreich, es war so jedenfalls bei uns so und so habe ich das persönlich erlebt, war das so eine Fortsetzung der Wandervogelbewegung und der Jugendturnen. Also es war mehr eine Pfadfindergeschichte. Und das hat uns fasziniert, weil man hat viel Sport betrieben, man hat Geländespiele gemacht und man hat viel Geschichte gelernt. Da waren natürlich Hintergedanken, aber als Junge hat man das nicht so wahrgenommen. Ich sage, so viel Sport hätte ich nie betrieben wie in der Zeit und das hilft mir, glaube ich, heute noch. Es war eine Zeit, die ich eigentlich nicht als negativen Einfluss sehe. Und natürlich heute kann man Manches als negativ feststellen, das war sicherlich alles auch nicht positiv, auch nicht alles negativ. Ich bin fest davon überzeugt, weil ich mich viel damit befasst habe, dass hier im österreichischen Gebiet die Entwicklung ganz anders gewesen ist. Es kommt natürlich auch dazu, als Österreich und das Sudetenland dazu angeschlossen ist, da waren die Nazis schon im Reich sechs Jahre an der Macht, also da ist manches schon gefestigt und vielleicht auch verkrustet gewesen. Hier war es im Grunde genommen, das weiß ich wieder aus Erzählungen von Kollegen, die ein paar Jahre älter sind als ich, und die noch vor 1938 im jugendlichen Alter gewesen sind, war das mehr oder weniger die Fortsetzung von Jugendbünden mit etwas anderen Vorzeichen." “Also so etwas wie eine ideologische Indoktrination haben Sie da nicht erlebt oder sind Sie sich dessen nicht bewusst gewesen?” “Also, wir waren es uns nicht bewusst. Aber wenn man zurückschaut, dann ist das schon eine Indoktrination gewesen, weil Jeder musste den Lebenslauf Hitlers auswendig kennen, praktisch. Und die Wehrmacht war halt eine feste Institution, die in die Gesellschaft integriert war, die einem früh nah untergebracht ist. Und es gibt viele Beispiele, wo das dann unterschwellig sehr stark praktiziert worden ist. Aber das hat man in dem Zeitpunkt damals nicht gewusst, weil es war kein Zwang dahinter und die haben das gut verstanden, dass das eben die Leute einfach innerlich bewegt hat, dass sie sich dort betätigt haben.”

  • “Wir waren gewohnt, dass die Flugzeuge immer über Lundenburg weg geflogen sind. Die sind meistens dann nach Schlesien geflogen und sofern hat man da dann nicht so viel beigemessen, wenn die Flugzeuge dann über die Stadt geflogen sind. Dann im November war es eben so, dass es diesen Angriff gab. Der hat kurze Zeit, wenige Minuten gedauert, aber erhebliche Schaden angerichtet. Und das ist einer der prägenden Erlebnisse meiner Kindheit. Das wird man nie vergessen, wenn man im Keller sitzt und der war so provisorisch abgestützt, aber da wackeln die Wände und der Putz rieselt von den Wänden und von der Decke und man wartet immer darauf, es kommt immer näher - also jetzt geht es auch mal hier los! Aber Gott sei Dank war es vorher zu Ende und als wir dann raus kamen, sahen wir, was alles passiert ist.” “Was alles ist passiert?” “Ja, es sind Teile der Stadt zerstört worden, beispielsweise am Marktplatz ist die Kirche, die stand mitten am Platz, die war total zerstört. Die ganze Reihe Hauser war zerstört, ich kam danach in den Villenviertel Dubič, da war es sehr viel zerstört worden. Im Wesentlichen sind Wohngebiete getroffen worden. Die Industrie und der zentrale Bahnknotenpunkt, der im Lundenburg damals war, der ist fast nicht getroffen worden. Und dadurch hat es auch erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung gegeben, aber ich kann jetzt nicht sagen, wie viele das waren, aber es war ein einschneidendes Moment. Und wir waren dann noch ein paar Tage da, bevor wir in Leipertitz gegangen sind, aber da sind dann immer noch Zeitzünderbomben hochgegangen waren, also niemand wusste, wo geht es wieder los und interessanterweise Lundenburg hatte große Kaserne gehabt und dort ist auch nichts passiert.”

  • Celé nahrávky
  • 1

    Brno, 09.09.2020

    (audio)
    délka: 01:45:53
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Wir haben Hitlers Lebenslauf auswendig gelernt

Reinfried Vogler, Brno, 2020
Reinfried Vogler, Brno, 2020
zdroj: Post Bellum

Reinfried Vogler wurde am 2. Juli 1931 in Litobratřice (deutsch: Leipertitz) in Südmähren in die deutsche Familie des Lehrers Willibald Vogler geboren. Seine Mutter Maria war die Tochter des Bürgermeisters von Litobratřice. Im Sommer 1938 zogen die Voglers zu ihren Verwandten nach Wien und kehrten erst nach der Besetzung des Sudetenlandes durch Hitlerdeutschland zurück. Während des Krieges war Reinfried Vogler Mitglied des Jungvolks, der Vorstufe von Hitlerjugend. Sein Vater meldete sich freiwillig zur Wehrmacht, obwohl er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr dazu verpflichtet war. Er wurde in Frankreich und an der Ostfront eingesetzt. In der Nähe von Berlin wurde er von der Roten Armee gefangen genommen. Die Familie Vogler lebte bis zur Bombardierung der Stadt im November 1944 in Břeclav (Lundenburg) und zog dann zu den Großeltern nach Litobratřice. Als die Front näher rückte, wurden die Mutter und ihre Kinder nach Österreich evakuiert, wo sie das Ende des Krieges erreichte. Sie durften nicht nach Hause zurückkehren und mussten fast vier Jahre lang in einem Flüchtlingslager leben. 1948 kehrte der Vater gesundheitlich angeschlagen zur Familie zurück und gemeinsam zogen sie nach Heilbronn, Deutschland. Reinfried studiert Jura in Würzburg. Er heiratete 1961, hat eine Tochter, ist in sudetendeutschen Vereinen aktiv und gehörte in den 1980er Jahren dem Vorstand des umstrittenen Witikobundes an, trat aber nach Meinungsverschiedenheiten mit Radikalen zurück. In den letzten Jahren hat Reinfried Vogler jedoch regelmäßig an der Brünner Versöhnungsmarsch teilgenommen, zu dem er 2020 auch ein Interview für Memory of Nations gab.