Emil Baierl

* 1933

  • Das war vor 1938, da hat er (der Vater) die militärische Ausbildung machen müssen, weil er doch Staastbürger war, da hat er seine Pflichten gehabt. Alle zwei Jahre hat er nach Rokitzan müssen, erst zu der Grundausbilding und dann hat noch zur Ausbildung und da hat er da in der Werkstatt gearbeitet, in der Schumacherei, in Rokitzan, wie ich schon gesagt habe. Und 1938 war doch die Mobilmachung von den Tschechen und alle hätten einrücken sollen. Dann sind sie alle nach Bayern geflohen. Und dann waren sie ja fahnenflüchtig, dann haben sie nicht heim dürfen, bis die Angliederung war, dass wir als Sudetenland zu Deutschland gehört haben. Ja dann ist er 1939 schon eingerückt, hatte schon zur Militär müssen. Dan hat sich das alles erübrigt. Ja, sie sind nach Bayern geflüchtet. Weil das war so komisch, sie hätten gegen die Deutschen kämpfen müssen. Also Brüderkrieg, das wollten sie alle nicht. Und die Tschechen haben sich das gemerkt und wenn sie nach 1945 heimgekommen sind, sind sie eingesperrt worden und zum Teil sind sie ja hingerichtet worden.

  • Dann ist das Militär gekommen und die waren die gefährlichen. Die haben gleich „Stůj!“ geschrien und wenn du nicht stehen geblieben bist, haben sie gleich geschossen. Sie haben damals die zwei Mädchen nicht weit von uns im Winter erschossen. Die sind auf der Wiese gelegen, eine hat einen Kopfschuss gehabt, die war gleich tot, und die zweite hat einen Bauchschuss gehabt, die hat noch stundenlang geschrien. Sie war nicht weit weg von uns, höchstens fünfhundert Meter. Und wir haben nicht hingehen dürfen, das war alles verboten. Bis Abend waren sie alle zwei tot und dann wurden sie mit dem Schlitten nach Rothenbaum gefahren, ins Leichenhaus. Und da habe ich sie eben gesehen, weil wir da als Ministranten haben mithelfen müssen. Da haben ich wir uns die Leichen angeschaut. Alle anderen Männer, die sie erschossen haben, sind ins Rothenbaum gekommen. Einer von Vorderbuchberg, aus Bayern, einer von Fuchsberg, einer von Chudiwa, die waren alle im Leichenhaus in Rothenbaum. Und das ist schon komisch, wenn man das sieht, als Bursche…

  • Nachdem haben wir geschaut, dass wir so langsam rauskommen. Da haben wir die Sachen langsam herausgetragen, im Winter 1945, ein Onkel hat uns geholfen. Wir haben unser Möbel und Bette und Küchenbüffet an Schlitten gestellt und haben es da auf der Straße von Flecken nach Hofberg gezogen. Es war wie eine Völkerwanderung damals, so viele Leute waren unterwegs. So lange das Militär nicht da war, ist es gegangen. Wenn das Militär gekommen ist, war es vorbei. Die wollten das nicht sehen lassen, die haben sofort verhaftet. Die Getreide und die Sachen haben wir alle in Säcke gepackt, Namen darauf geschrieben, zugebunden und das haben wir dann, Mutter und ich, über die Grenze getragen. Nach Hofberg, da war an der Grenze ein kleiner Bauernhof und die Scheune, die war voll von Sachen. Es waren nicht nur wir, da waren die aus Vorderflecken, bis von Chudiwa und Fuchsberg haben sie Sachen herausgetragen, alle in diese Richtung.

  • Wenn wir nicht rausgegangen wären, dann wären wir nach Tschechien ins Inland gekommen zu den Bauern als Arbeiter. Die Kinder hätten vielleicht in die Schule hingehen können, das weiß man nicht. Oder mindestens hätte man die tschechische Staatsbürgerschaft annehmen müssen, sonst wäre gar nichts gegangen. Und das wollten wir vermeiden, deshalb sind wir nach Bayern geflüchtet. Weil der Papa hätte sowieso nicht heimkommen können. Wenn er vor der Gefangenschaft gekommen wäre, der wäre sofort eingesperrt worden, weil er fahnenflüchtig war.

  • Wir halten zwar alle Jahre unser Fest, aber schon langsam wird es stader werden. Wenn die Eltern nicht mehr kommen und die Kinder sie nicht hinfahren, dann ist es vorbei. Es ist schlimm. Auf einer Seite ist man ein bisschen traurig, aber das ist biologisch geregelt. Und damit rechnen wahrscheinlich die Tschechen, dass es irgendwann alles ganz einschläft. Die erste Zeit habe ich keine gute Meinung von den Tschechen gehabt, aber seitdem wir jetzt in Rothenbaum es machten und in Chudiwa mit den zwei Bürgermeistern geredet haben, und die haben es so gut gesehen und haben so viel geholfen, dann muss ich sagen: Warum sollen wir ja besser sein? Seitdem sind wir gut befreundet. Die Firma in Glashütten hat das ganze gemacht, die Grabsteine aufgestellt. Er (Adolf Šulan) kann gebrochen Deutsch aber wir können uns gut verstehen.

  • Ist doch nicht umsonst gewesen, unsere Arbeit. Es wird von Radfahrern und von allen wird es besucht. Wir wissen es, wenn wir drinnen arbeiten, kommen wieder junge Leute, hauptsächlich junge. Die suchen Gespräch. Die Studenten von Prag und von überall her sprechen, manche entschuldigen sich für das Gräuel, das gemacht geworden ist und für die Eltern. Manche reden und manche sagen nichts. Das kann man auch verstehen. Wir waren damals Feinde, obwohl wir Bürger von der Tschechei waren. Das sind so viele Jahre her. Die Jungen, die denken schon anders, muss ich schon sagen, die haben schon Verständnis dafür, aber kein Verständnis für das, was passiert ist.

  • Wenn die Grenze drinnen geöffnet wurde, haben wir gesucht, den Friedhofskreuz haben wir gesehen. Dann haben wir gewusst, da ist der Kreuz, da war der Friedhof und da muss ungefähr die Kirche gestanden sein. Da waren zwei oder drei Burschen dabei, die waren mit mir und die haben es alles gewusst. Und ich habe es vom Ministrieren gewusst, wo die Kirche und das Leichenhaus war. Und wir haben es alles gesucht. Da war der Urwald, ein riesiger Urwald, Kreuze haben ein Bisschen rausgeschaut. Und dann haben wir herunter, wo die Kirche gestanden ist, am Boden ein bisschen gekratzt und so herumgeschaut und es ist schwarz geworden, der Ruß vom Brennen. Naja, dann muss es irgendwo kommen, da muss man die Kirche freilegen. Und dadurch ist es entstanden, dass wir den Kirchenboden und das ganze Ding freigelegt haben.

  • Celé nahrávky
  • 1

    Neukirchen, SRN, 04.09.2019

    (audio)
    délka: 01:48:30
    nahrávka pořízena v rámci projektu Das vertriebene Gedächtnis des Böhmerwaldes
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Von meinem Geburtshaus blieb nicht mehr als einige Steine übrig, die Kirchenmauern haben wir aber nach der Wende freigelegt

Emil Baierl als Kind
Emil Baierl als Kind
zdroj: pamětník

Emil Baierl, geboren am 8. Dezember 1933 in Kohlheim (Uhliště na Klatovsku), wuchs im nahen Flecken (Fleky) in einem großen Haus mit Landwirtschaft und einer Schusterwerkstatt auf. In Flecken sprach man ausschließlich deutsch, ebenso wie in der heute untergegangenen Gemeinde Rothenbaum (Červené Dřevo), wohin Emil in die Schule ging und die Wallfahrtskirche Mariahilf stand. Emil ministrierte in ihr zuweilen während der Sonntagsgottesdienste und zu ihrem Einzugsgebiet gehörten auch die Einwohner der nahen bayerischen Dörfer. Emils Vater diente in der tschechoslowakischen Armee, floh jedoch 1938 vor der Mobilisierung über die Grenze nach Bayern, weshalb er als Desserteur nach dem Krieg nicht mehr in die Tschechoslowakei zurückkehren durfte. 1939 rückte er zur Wehrmacht ein und kam in Kriegsgefangenschaft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen Emil und seine Mutter wie viele ihrer Nachbarn systematisch Sachen über die Grenze nach Bayern zu schmuggeln – aus Angst vor der Vertreibung. Nachts vestauten sie die wichtigsten Dinge in Säcken und trugen sie rüber, bis im November die tschechoslowakische Armee eintraf. Im März 1946 übertrat er mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder endgültig die Grenze und lebte zunächst unter provisorischen Bedingungen in einem Stall, bis sie nach Neukirchen umzogen, wo Emil sich zum Schuster ausbildete. Emil verfolgte hinter der Grenze die Errichtung des Eisernen Vorhangs und die Zerstörung der Gemeinden im Grenzland. Nach Böhmen kehrte er erst nach der Öffnung der Grenze im Jahr 1989 zurück. Seine erste Reise führte nach Flecken zu ihrem Haus, von dem nicht mehr als einige Steine übrig geblieben waren. In der untergegangen Gemeinde Rothenbaum gelang es Emil mit weiteren Landsmännern anhand von Aschespuren in der Erde den Standort der ehemaligen Kirche zu bestimmen, nach und nach die Grundmauern freizulegen und deren Umriss zu bauen. Sie erneuerten die Grabsteine auf dem ehemaligen Friedhof und ließen eine Erinnerungstafel aufstellen.