Helmut Bernert

* 1935

  • "Wie gesagt, als wir im Mai 1945 nach Troppau kamen, wurde mein Vater verhaftet. Er war erst im Gerichtsgefängnis, ist aber relativ bald von seinem ehemaligen Stellvertreter als Obermeister, einem tschechischen Malermeister, angefordert worden als Geselle. Warum das so war, weiss ich nicht, aber ich musste meinen Vater am Gefängnistor abholen, musste ihn zu dem Malermeister bringen und musste ihn abends wieder ins Gefängnis bringen. Das lief also etwa bis August 1945. Und dieser Maler hat dann auch meinen Bruder angefordet, so dass mein Bruder dann dort auch gearbeitet hat, mein Bruder war aber nicht mehr eingesperrt. Mein Vater wurde aus dem Gefängnis, ich glaube, im August 1945 entlassen, wurde dann aber im November wieder eingesperrt. Er war dann bei einer Gruppe, die die russischen Soldaden, die durch die Kämpfe im Stadtgebiet verscharrt worden waren, hat exhumieren müssen und die wurden dann auf dem Zentralfriedhof bestattet. Daran war er also beteiligt. Ich weiss es deswegen, weil ich ihm da in dieser Zeit immer wieder mal etwas zu essen bringen konnte. Also ich war im Grunde genommen derjenige, der eigentlich von der Familie aus den ganzen Kontakt herstellte, weil mein älterer Bruder beschäftigt war den ganzen Tag über, mein Vater eingesperrt war, also war ich der älteste in der Familie. Meine Mutter tat sich sehr sehr schwer mit der Situation, sie war auch schwanger, meine Schwester wurde im November 1945 geboren, sodass ich also praktisch alles, was ausserhalb der Familie war, eben betätigt habe. Als Zehnjähriger lernt man doch schnell ein paar Brocken Tschechisch, sodass ich auch ohne den „N“ durch die Stadt gehen konnte, einkaufen gehen konnte. Obwohl die Leute mit Sicherheit wussten, dass ich kein Tscheche war, aber die haben es offensichtlich, weil ich eben als Kind kam, akzeptiert."

  • "Die Deutschen mussten ofiziell dieses „N“ tragen, auf der rechten Brustsite sollte das sein. Im Nachhinein sage ich: Na ja, das war der deustche Judenstern sozusagen. Sofern war das klar. Ich sollte das eingentlich angeneht haben, ich hatte es aber nicht angeneht, sondern mit einer Sicherheitsnadel beschäftigt, weil ich eben wie gesagt es immer wieder runtergenommen habe. Ich wurde beispielsweise einmal, das war also auch bisschen schizofren die Situation, ich wurde auf der Strasse von einer männlichen Person angehalten, geohrfeigt, weil ich das „N“ nicht angeneht hatte. Aber die Person hatte eine SA-Uniform an. Also es war eine etwas witzige Situation."

  • "Es war so, dass meine Mutter angefragt wurde von einem ehemaligen Berufskollegen meines Vaters, einem Schreinermeister. Man muss dazu sagen, dass damals es üblich war, dass Malerbetriebe und Lackiererarbeiter auch Möbel lackiert haben, und dadurch gab es die berufliche Verbindung zwischen Malern und Schreinern, daher kannte mein Vater diesen Mann. Der kam zu meiner Mutter und hat gesagt: Ich stelle ein Vagon zusammen, zur Aussiedlung. Meine Mutter hat gesagt, wenn mein Vater frei kommt, der damals im Lager war, dann sind wir bereit, dass wir mit ausgesiedelt werden. Mein Vater wurde frei gelassen, daraufhin wurde gepackt, und wir sind in dieses Vorlager gekommen, wo wir 2 oder 3 Tage waren, bis alle Personen zusammen waren. Dann sind wir zum Bahnhof, das war wie gesagt nur 200-300 Meter, sind also zu dem Bahnhof gekommen, sind in den Zug gestiegen, es waren natürlich Viehwagons, das ist klar. Dort wurde erst das Gepäck eingelagert, dann sind wir in den Zug eingestiegen, und sind losgefahren. Wir wussten glaube ich nicht , wo wir hingebracht werden. Ich glaube nicht, dass es uns das gesagt wurde, ich weiss es aber nicht. Üblicherweise war es aber so, dass diese Transporte eigentlich nach Bayern gingen. Unser Trasport, der am 9. Mai losgefahren ist, war am 11. Mai an der Grenze. An der Grenze sind wir praktisch registriert worden als allererstes, wir sind zweitens entlaust worden, mit DDT wegen der Gesundheit besprüht worden. Wir haben wahrscheinlich auch Essen gekriegt, und sind wohl noch am selben Tag weitergefahren, und sind dann am 13. Mai am Bestimmungsort angekommen. Wobei als Bestimmungsorte zwei Orte waren, die aber vom ersten Bestimmungsort praktisch weitergeleitet wurden, das war Frankenberg an der Eder in Nordhessen, da sind wir also am 13. Mai angekommen. Eine zweite Gruppe ist dann nach Münden gebracht worden, das ist also dort in der Nähe von Frankenberg, und ein Teil unseres Wagons ist in dieses Ort Regenshausen gekommen. Da sind wir also am 13. Mai angekommen, wurden dort dann entsprechen registriert, polizelich angemeldet, auf die entsprechenden Bauernhöfe verteilt, und haben dann versucht erstmal sozusagen zu sehen, wo sind wir eigentlich gelandet."

  • "Einerseits indem ich versucht habe, zu erklären, welche Institutionen notwendig sind für einen demokratischen Staat, und welchen Einfluss der Bürger hat und welchen Einfluss er nehmen sollte, beispielsweise und ganz wichtig Wahlbeteiligung, um eben diesen Staat nicht zu verselbständigen, sondern dass der Staat eben der Kontrolle der Bürger unterliegt. Ich habe gleichzeitig eben aber versucht auch zu zeigen, welche Folgen es hatte, dass eben die Menschen in der Weimamer Republik, im Grunde genommen sich mit dem Staat nie identifiziert hatten, mit dem demokratischen Staat, sondern dass schon in der Weimarer Republik angelegt war, dass eine Diktatur möglich ist, und dann eben ab 1933 tatsächlich die Diktatur kam. Und welche Mechanismen dazu geführt haben, dass Hitler die Menschen einlullen konnte, dass die gar nicht gemerkt haben, wie sie instrumentalisiert wurden und manipuliert wurden. Was ich für mich selber nie nachvollziehen konnte ist, wie es möglich war, dass also auch die sogenannte Intelligenz eben doch zu überwiegendem Teil sich so vereinnahmen liess. Dass das bei den Juristen so war, war mich klar, denn ich habe mich im Studium mit Geschichte und Staatsrecht usw. beschäftigt, da gab es diese positivistiche Schule bei Juristen, die sie praktisch nahtlos übernommen haben und auch nach 1945 nahtlos reagiert haben, das war klar. Aber das die gesammte andere sogenannte Intelligenz, mit ganz wenigen Ausnahmen eigentlich, sich so vereinnahmen liess, das ist für mich bis heute eigentlich einerseits ein Phänomen, und andererseits wenn ich sehe, wie die AfD heute agiert, und welche Leute der AfD hinterher laufen, ist das für mich ein erschreckendes Erlebnis, dass ich erleben muss, dass es immer noch so funktioniert. Und ich frage mich immer weider: Welche Möglichkeiten hat eigentlich die Demokratie, für sich zu werben, welche Möglichkeiten gibt es, die Demokratie positiv darzusetellen, und zu zeigen, dass es notwendig ist, sich einerseits zu angagieren, andererseits eben auch kritisch zu hinterfragen."

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    Dresden, Německo, 15.06.2021

    (audio)
    délka: 02:00:49
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Die Vertreibung ist ein Riss in meiner Persönlichkeit. Heute verbreite ich die demokratischen Ideale, damit sich kein Unrecht mehr wiederholt

Helmut Bernert als Kind in Troppau (Opava)
Helmut Bernert als Kind in Troppau (Opava)
zdroj: pamětník

Helmut Bernert wurde am 24. Juni 1935 in Troppau (Opava) in eine deutsche Familie mit tschechischen Wurzeln geboren. Der Vater Franz war Mitglied der Sudetendeutschen Partei, während des Krieges kämpfte er für die Wehrmacht in der Ukraine. Auch sein älterer Bruder rückte zur Armee ein. Der Vater kehrte aufgrund von Krankheit im Jahr 1943 zurück nach Troppau, die Familie wurde dann im Jahr 1944 in eine kleine Gemeinde bei Sternberg (Šternberk) evakuiert. Der Vater desertierte schließlich und die Familie erlebte die letzten Kämpfe des Krieges in einem Versteck im Wald. Der Fußweg zurück nach Troppau dauerte vier Tage. Der Vater wurde am Stadtrand festgenommen und war schließlich fast ununterbrochen bis zur Vertreibung im Mai 1946 im Gefängnis. Nach ihrer Rückkehr fanden die Kinder und die Mutter ihr ausgebranntes Haus vor, also wohnten sie in der Werkstatt hinter dem Haus. Im Juli 1945 kehrte auch der ältere Bruder zurück, im November kam die jüngste Schwester auf die Welt. Der zehnjährige Helmut versorgte die Familie, auch die Einkäufe machte er. Die tschechischen Kollegen des Vaters brachten der Familie nachts Essen, einer von ihnen half dem Vater auch so, indem er ihn aus dem Gefängnis als Helfer anforderte. Im Mai 1946 wurde die ganze Familie mit einem Transport über Prag nach Hessen, in eine kleine Gemeinde namens Rengershausen, ausgesiedelt. Dort wurden sie nicht gerade am freundlichsten aufgenommen. Helmut half zunächst seinem Vater, nach dessen Erkrankung und der Auflösung seines Gewerbes, entschied er sich jedoch zu studieren und arbeitete schließlich als Lehrer für Geschichte und politische Erziehung. Seinen Schülern brachte er demokratische Werte bei und betonte stets, wie wichtig es sei, dass ähnliches Unrecht wie während des Zweiten Weltkrieges und danach sich nicht mehr wiederholte. Er lebt in Kassel und fährt seit 1979 regelmäßig in die Tschechoslowakei und die Tschechische Republik, wo er in Archiven forscht.