Es ist in erster Linie wichtig, das aufzuarbeiten, was im Namen eigener Nation passiert ist
Franz Gruss kam am 1. Januar 1931 in einer deutschen Familie mit teils polnischen, teils tschechischen Wurzeln im damaligen Mährisch Ostrau (Moravská Ostrava) zur Welt. Die Mutter konnte Tschechisch, aber in der Familie sprach man nur deutsch. Er sprach mit der Großmutter tschechisch und „auf der Straße“. Der Vater war Drucker und die Mutter unterhielt in der geräumigen Wohnung eine Schneiderei. Nach der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei (Herr Gruss selbst verwendet diesen Begriff) erhielt die ganze Familie die deutsche Staatsbürgerschaft. Franz trat dem Deutschen Jungvolk bei (Nachwuchs der Hitlerjugend), der ältere Bruder diente und fiel 1943 auf der Krim. Der Vater im fortgeschrittenen Alter musste nicht in den Krieg. Franz hat verschwommene Erinnerungen an einen halbjüdischen Mitschüler und Berichte über die Verbrennung der Ostrauer Synagoge. Nach den ersten Bombenangriffen auf Ostrau kam er ins Internat nach Friedeck-Mistek (Frýdek-Místek), wo er u.a. militaristischer Indoktrination ausgesetzt war. Er erinnert sich auch an antisemitische Lieder aus der Kindheit. Das Kriegsende erlebte er bei seiner Tante in Bruch bei Brüx (Lom u Mostu), wo er nah bei Dux (Duchcov) Zeuge eines Lynchmords an einem kanadischen Piloten wurde, aber im Mai auch des Einzugs der sowjetischen Soldaten, des Mordes an einem deutschen Nachbarn von Seiten der Tschechen und des Zuges der örtlichen deutschen Einwohner (einschließlich seines leiblichen Onkels Josef) zur Kirche, wo sie ermordet wurden. Er wurde auf dem Heimweg aus Bruch nach Ostrau in Prerau (Přerov) zusammen mit seinen Eltern festgenommen, der Vater eingesperrt und misshandelt. Franz und seine Mutter wurden nach der Zurückweisung durch den tschechischen Onkel und einem Treffen mit aggressiven Mitglieder der Revolutionsgarden (Rettung durch einen entfernt bekannten Juden) im Lager Mexiko interniert und zur Feldarbeit geschickt. Bald wurde er zusammen mit den Eltern als für die Arbeit ungeeignet eingeteilt und auf den Marsch nach Troppau geschickt, sowie am nächsten Tag zur Grenze. Auf dem Weg sah er erschöpfte Leute in die Gräben fallen. Die Vertriebenen wurden auf einer Waldlichtung gesammelt und anschließend über explodierende Tretminen zur Grenze gejagt, wo in der Zeit schon Polen war. Dort lebte er eineinhalb Jahre, arbeitete bei örtlichen deutschen Bauern und übersetzte für polnische Soldaten bis zur letzten Phase der Vertreibung polnischer Deutscher, denen sich die ganze Familie anschloss. Die Vertriebenen waren danach in der DDR, Franz studierte in Leipzig auf der Handelsschule und emigrierte erst 1951 nach Westdeutschland (schwarz in der Nacht auf einem Güterzug). Franz lebt heute bei Heidelberg und betätigt sich seit dem Renteneintritt als Reiseführer, vor allem nach Polen und die Tschechische Republik. Er lernt Polnisch und Tschechisch. „Es ist in erster Linie wichtig, das aufzuarbeiten, was im Namen unserer Nation passiert ist,“ sagt er und begleitet die Touristen u.a. auch nach Auschwitz