Günther Klemm

* 1939

  • "Es war eine furchtbare Stimmung und Situation, weil eine der Frauen, stimmte dann das Lied an 'Adieu du mein lieb Heimatland, adieu du mein lieb Heimatland'. Es stimmten, Alle, die mitsingen konnten, stimmten kurz ein, aber nach wenigen Worten brach alles in Weinen aus. Und das war natürlich eine Situation, die ich, zwar als damals noch Kind, mit 6 Jahren, gut, mit sechs und halb Jahren, vielleicht nicht so stark empfunden habe wie die Erwachsenen, denn es waren überwiegend Mütter mit ihren Kindern, ältere Menschen, kaum Männer, paar Invaliden, oder ich glaube in unserem Wagon waren nur zwei Männer. Dann ging die Fahrt langsam los. Ich habe das in meinem Büchlein beschrieben: die Bahn fuhr so langsam, als würde sie die Fahrt verweigern wollen."

  • "So ging das die ganze Zeit in diesem langsamen Tempo weiter. Kurz nach Ústí hielt der Zug, die Türen wurden aufgerissen und 'so, jetzt können Sie ihre Notdurft errichten'. In den Wagons waren ja keine Toiletten. Jetzt mussten Männlein, Weiblein, jung oder alt, alle raus aus den Viehwagons und irgendwo in der Natur ihre Notdurft zu errichten. Also es war schon grausam. Und eine der Bemerkung eben der Erwachsenen war: das, was die Deutschen mit den Juden und mit den Kommunisten und mit anderen gemacht haben, das tut man uns jetzt an."

  • "Wir sind bis 1949 dort in der Altmark auf dieser Kolonie geblieben. Ich bin dort zur Schule gegangen. 1949 hat eine Schwester meiner Mutter mütterlicherseits und ausfindig gemacht, es wurde ja damals viel über den Suchdienst deutscher Roter Kreuz die Verwandtschaft wieder ausfindig gemacht. Es wusste niemand von den anderen, wo sie hin sind, wir wussten selbst nicht, wo es hingeht. Und dort wurden erst in mehreren Jahren fanden die Verwandten zueinander. Da schrieb eine Schwester meiner Mutter uns an und hat gesagt, sie hätte Arbeit für meine Mutter in der Landwirtschaft. Da in der Mark gab es keine Arbeit, dort gab es mit Landwirtschaft nicht viel, die Bauern hatten selbst ihre Arbeitskräfte, im Sommer ein bisschen ja, aber sonst war nichts. Und hat uns geschrieben, dass sie ja für meine Mutter Arbeit hätte, aber keine Wohnung. Aber was hat meine Mutter gesagt: Arbeit bei Bauern heißt essen, wir werden wieder satt. Wir müssen nicht mehr stehlen."

  • "Als Kind, hatte ich ja gesagt, war ich viel im Ort Rennersdorf, in der böhmischen Schweiz. Und dort war ein wunderschöner Apfelbaum mit herrlichen Äpfeln. Und da hab ich als Kind schon von diesem Apfelbaum gegessen. Und dann war ich wie gesagt 2015 mit dem befreundeten Ehepaar in Rennesdorf und wir hielten dort unmittelbar neben dem Haus von dem Herrn Eger, und ich ging zu dem Apfelbaum runter, wo jetzt das Haus jetzt weg war, und wollte mir ein Apfel pflücken, dann komm aus dem Nachbarhaus der bewusste Herr Eger und fragt mich 'Suchen Sie etwas? ' 'Nein, ich suche nichts, ich möchte von dem Apfel essen, von dem ich als Kind schon gegessen habe. ' 'Was? ' Sagt er, 'das ist so interessant, erzählen Sie bitte ihre Geschichte, kommen Sie bitte mit. ' Er lud uns ins sein Wochenendhäuschen ein. Er war sofort angetan und: 'Erzählen Sie bitte Ihre Geschichte'. Er war sehr interessiert, ich sage mal aus dem Mund eines Zeitzeuges es zu hören, wie es mit der Vertreibung war. Weil hier war, genauso wie wir damals in der DDR, wurde alles unterdrückt von der Vertreibung und wurde nicht groß gesprochen und er kannte es nur von den geringen Erzählungen seiner Mutter oder das, was offiziell gesagt wurde, also nicht das, was wirklich wahr war. So habe ich ein Paar Dinge erzählt und habe ihm auch gesagt, dass ich ein kleines Büchlein darüber geschrieben habe und dort die Zeit von meiner Kindheit, woran ich mich zurückerinnern kann, bis zu Ende meines Berufsausbildung, also das heißt, die Zeit unmittelbar vor, während der Vertreibung und danach aufgeschrieben habe. Und da wollte er unbedingt ein Buch haben. Ich sage eine Geschichte vom Apfelbaum oder die Entstehung einer Freundschaft. Und jetzt schickt er mir im Jahr 2017 war es, glaube ich, eine E-Mail: 'Herr Klemm, großes Malheur ist passiert, der Apfelbaum ist umgebrochen'. Der Apfelbaum war zu alt und schon bisschen morsch, obwohl er noch wunderbare Äpfel hatte. 'Aber das ist nicht schlimm, ich schicke Ihnen das Herz vom Baum und wir pflanzen einen neuen Baum gemeinsam und den nennen wir Günther. ' Er hat dann eine Baumscheibe geschickt, die die Form eins Herzes hat und dort war eingebrannt 'Herzliche Grüße aus Rennersdorf'. "

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    Dresden, Německo, 14.06.2021

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Aus dem Sudetenland vertrieben, in Deutschland nicht willkommen

Der zweijährige Günther vor dem Apfelbaum
Der zweijährige Günther vor dem Apfelbaum
zdroj: pamětník

Günther Klemm wurde am 5. November 1939 in Teplitz-Schönau (Teplice Šanov) geboren. Den Vater Hans, einen gelernten Fassbinder, sah er zuletzt im Alter von zwei Jahren, als er zur Wehrmacht einrückte. Der letzte Brief, den die Familie von ihm bekam, kam aus Stalingrad. Günther Klemm lebte als einziges Kind mit seiner Mutter, Gerta Klemm in dem Dorf Klein Augezd (damals Malý Újezd, heute Újezdeček) bei Teplitz, er verbrachte aber auch viel Zeit bei seinen Großeltern in der Böhmischen Schweiz, in Rennersdorf (Rynartice). Die Mutter arbeitete bei tschechischen Freunden in der Landwirtschaft. Aus der Kindheit kann er sich sowohl an die freundschaftliche Atmosphäre des deutsch-tschechischen Zusammenlebens erinnen, als auch an den Fakt, dass er in der Schule nach dem Krieg als einziges deutsches Kind (die restlichen Familien sind bereits weggefahren oder wurden vertrieben) durch den tschechischen Lehrer und Priester schikaniert wurde. Am 20. Juli 1946 wurde die Familie Klemm ausgesiedelt. Die neunköpfige Familie Klemm wurde bei Bauern in der Region Altmark bei Magdeburg untergebracht. Dort lebten sie unter armen Verhältnissen drei Jahre lang, bis Günther und seine Mutter über das Rote Kreuz von seiner Tante gefunden wurden und sie die beiden zu sich in das kleine Dorf Börde einlud. Die Mutter begann in der Landwirtschaft zu arbeiten, Günther ging zur Schule, zu Beginn mussten sie in einer ungenutzten Räucherkammer wohnen. Später bekamen sie, auch dank seines Lehrers einen besseren Wohnplatz und damit verbesserte sich auch ihre Gesamtsituation. Günther Klemm studierte Maschinenschlosserei und baute später Flugzeuge. Mit seiner Familie ließ er sich in Dresden nieder. Er war Mitglied der kommunistischen Partei SED, arbeitete zunächst bei der Armee und später als Personalchef und Direktor einer Textilfabrik. In seine Geburtsstadt kehrt er regelmäßig zurück und nahm an der Wanderung in Rennersdorf teil. Er schrieb ein Buch über die Erinnerungen an die Vertreibung: „Die Suche nach der heilen Welt“, mit dem Untertitel „Aus dem Sudetenland vertrieben, in Deutschland nicht willkommen“. Er wünscht sich, dass niemand jemals das erleben muss, was er und seine Familie erfahren mussten.